Wie unser Gehirn funktioniert und was uns das lehrt

Norbert Betz, Psychofallen an der Börse (7)
Bild: BBAG/Killius
Im siebten Teil unseres Exkurses zur Börsenpsychologie zeigt Norbert Betz einmal auf, wie unser Gehirn tatsächlich funktioniert - zumindest, soweit wir das wissen. Denn trotz der intensiven Forschung, das menschliche Gehirn ist immer noch eine Black Box, aber vielleicht bringt ja die Künstliche Intelligenz künftig mehr Aufklärung?
Was genau passiert in der Black Box Gehirn bei (Anlage-)Entscheidungen, das ist die große Frage, die sich mit Psychologie nicht erklären lässt. Dazu braucht es technische Hilfsmittel, mit denen wir direkt ins Gehirn schauen können. Denn dort kämpft bei jeder Entscheidung der analytische Teil mit dem emotionalen, das reflektive mit dem reflexiven Gehirn. Warum aber gewinnt mal der eine, mal der andere Teil die Überhand? Bei jeder Entscheidung einer Kapitalanlage und der daraus resultierenden Folgen, die sich mit der Zeit diametral ändern können, durchlaufen wir eine Achterbahn der Gefühle. Vor allem Gier, Angst, Erwartung und Selbstvertrauen sind es, die eine große Rolle spielen. Von Neid, Überschwang oder Panik ganz zu schweigen.

Beim Kauf feiern wir Silvester

Wie kann man das im Gehirn nachvollziehen? Nehmen wir das Beispiel »Erwartung«. Wenn wir eine Aktie kaufen, rechnen wir fest damit, dass der Kurs steigt – außer wir sind ein Hedgefonds mit seltsamen Namen, der auf fallende Kurse setzt, oder ein Berufspessimist. Beim Kauf feuern unsere Neuronen im reflexiven Gehirnteil, dem Nucleus accumbens oder Belohnungszentrum, wie wild umher, wir brennen eine Art Silvesterfeuerwerk ab. Doch wenn der Kurs dann wirklich steigt, schicken wir nur noch ein paar müde Raketen hinterher, die vorzeitig krepieren. Das heißt, Vorfreude ist die schönste Freude, und wenn das Ereignis dann wirklich eingetreten ist, kommt nicht mehr viel nach. Vielleicht auch ein Grund, dass Ehescheidungen heute eher die Regel als die Ausnahme sind.

Was passiert in 1,5 Kilo Gehirn?

Was also genau passiert in unserem Gehirn, normal etwa 1,5 Kilogramm schwer und so groß wie zwei Fäuste? Etwa 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen) verbergen sich darin und eine Billion Stützzellen, die das Gewebe stabilisieren. Es kommunizieren 100 Billionen Synapsen. Unser Gehirn ist ein enormer Energieverbraucher: Während es nur etwa 2 Prozent der Körpermasse ausmacht, verbraucht es 20 Prozent an Energie. Wir unterscheiden verschiedene Bereiche des Gehirns, denen jeweils unterschiedliche Funktionen zugeordnet sind:

Einblick in unser Gehirn

Gehirn-Abschnitt

Gehirn-Bereich  Funktion(en)
Großhirn

Rechte Gehirnhälfte 

6 Lappen mit räumlichem Denken, räumliche Stellung des Körpers oder bildhafte Zusammenhänge
Sie steuert die gesamte linke Körperseite

Linke Gehirnhälfte

6 Lappen, zuständig etwa für Sprache (Großhirnrinde) und abstraktes Denken
Sie steuert die rechte Körperseite
Zwischenhirn

Thalamus

Vermittelt an das Großhirn Sinneseindrücke, der Haut, der Augen und Ohren.

Hypothalamus Er reguliert Hunger, Durst und Schlaf und gemeinsam mit der Hypophyse den Hormonhaushalt

Hypophyse  

Hirnstamm

Mittelhirn

Schaltet Informationen vom Gehirn zum Kleinhirn und dem Rückenmark um und kontrolliert die Bewegungen der Augen und die Mimik. Außerdem reguliert er Atmung, Blutdruck und Herzschlag – er ist für unser Überleben also absolut notwendig

Brücke

 

Verlängertes Mark

 
Kleinhirn
Es koordiniert unsere Bewegungen und ist für das Gleichgewicht verantwortlich
Mit bildgebenden Verfahren können nun über Sensoren die elektrischen Aktivitäten der Nervenzellen gemessen und farblich abgehoben werden. Unter welchen Voraussetzungen werden welche Teile des Gehirns wie stark beansprucht, lässt sich so messen. Welche biochemischen und elektrischen Prozesse in welchen Hirnregionen ablaufen. Das geht soweit, dass allein gedachte Befehle genügen, dass ein Computer aktiv und über den Cursor gesteuert wird. Aber allen modernsten technischen Verfahren zum Trotz, wir können nur überprüfen, ob ein Proband denkt und wie er denkt, aber nicht, was er denkt!
 
Künstliche Intelligenz versucht mittels digitaler Algorithmen per Computer das menschliche Gehirn quasi nachzubauen. Noch sind sie stark vereinfacht, die Ergebnisse sind jedoch trotzdem bereits erstaunlich und dürften künftig auch bei Anlageentscheidungen an Bedeutung gewinnen, gerade weil emotionale Faktoren fehlen.

Wichtige Erkenntnisse aus der Hirnforschung

  • Fast 90 Prozent unserer Entscheidungen finden unbewusst statt, wir haben den Autopiloten eingeschaltet!
  • Wir verarbeiten einen finanziellen Verlust im gleichen Hirnareal, in dem auch Todesangst entsteht!
  • Unser Gehirn unterscheidet nicht, ob wir einen Wespenstich erhalten haben oder einen finanziellen Verlust erleiden mussten.
  • Bei Panik schüttet das Gehirn Cortisol aus, wir bekommen einen Schock, der Verstand setzt aus.
  • Gewinne setzen Glückshormone frei, wir wollen ihn deshalb gleich und jetzt haben – auch hier setzt der Verstand aus.
Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent (online und offline) und Autor.
Gemeinsam mit Ulrich Kirstein hat er Börsenpsychologie simplified, 2. Auflage 2015, erschienen im FinanzBuchVerlag, geschrieben. Für die Börse München außderdem das Booklet Psychofallen an der Börse. Wie wir sie erkennen und vermeiden. (2. Auflage 2021)