AT1-Anleihen der Credit Suisse: Ein politischer Fehler – aber nicht der Untergang der Anlageklasse

Silvia Merler, Algebris Investments
Silvia Merler / Bild: Algebris Investments
Bei der Genehmigung der Übernahme der Credit Suisse durch die Schweizer Großbank UBS beschloss die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA, die Additional-Tier-1-Papiere der Credit Suisse vollständig abzuschreiben. Den Aktionären hingegen blieb ein Teil des Erlöses. Wie es dazu kam und warum ein solcher Vorgang in Großbritannien und der Europäischen Union äußerst unwahrscheinlich ist, analysierten wir hier.
Additional-Tier-1-Papiere (AT1-Papiere) sind eine Art festverzinsliche Wertpapiere, die nach der globalen Finanzkrise eingeführt wurden. Sie sollen das Eigenkapital der Banken im Bedarfsfall ohne den Rückgriff auf Steuergelder stärken. Die Idee dahinter war es, einen ‚Sicherheitspuffer‘ zwischen Aktionären – die im Falle einer Bankenabwicklung oder -restrukturierung zuerst Verluste tragen – und Inhabern nicht versicherter Einlagen einzuführen. Letztere möchten die Behörden so weit wie möglich schützen, um das Risiko einer Vertrauenskrise und eines Ansturms auf die Banken zu vermeiden.
 
Der Entscheid der FINMA, die AT1-Anleihen der Credit Suisse anders als die Aktien vollständig abzuschreiben, hat die Marktteilnehmer überrascht und zu negativen Reaktionen geführt. Wir sind der Meinung, dass dies ein politischer Fehler war. Er könnte längerfristige Folgen für die Glaubwürdigkeit des Schweizer Bankenabwicklungsrahmens haben, da er zu erheblicher Unsicherheit hinsichtlich der tatsächlichen Hierarchie bei der Abwicklung und Restrukturierung von Schweizer Banken führt.
 
Gleichzeitig hängt dieser Fehler aus unserer Sicht mit einer Besonderheit des schweizerischen Rahmens für Bankenabwicklungen zusammen und wäre im Rahmen der EU-Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Banken (BRRD) oder des britischen Rahmens für Bankenabwicklungen kaum reproduzierbar.
 
Der Schutz vorrangiger Gläubiger entsprechend der Forderungshierarchie ist der Schlüssel zur Wahrung der Finanzstabilität für den Fall, dass eine Bank umstrukturiert oder abgewickelt werden muss. Dieser Ansatz wurde in den USA und in Europa in früheren Fällen konsequent angewandt. Wir sehen keinen Grund für Zweifel, dass das auch weiterhin der Fall sein wird. In Europa könnte dieses Ereignis unserer Meinung nach sogar dazu führen, dass die seit Langem ruhende Diskussion über die Vollendung der Bankenunion wieder aufgenommen wird.

Was ist mit den AT1s der Credit Suisse passiert?

AT1 können in der Regel in zwei Situationen abgeschrieben werden.
 
Der erste Fall: Wenn die harte Eigenkapitalquote (Common Equity Tier 1, CET1) einer Bank unter das aufsichtsrechtliche Minimum von je nach Land 7 Prozent oder 5,125 Prozent ihrer risikogewichteten Vermögenswerte (RWA) sinkt, werden die wandelbaren Instrumente abgeschrieben oder in Eigenkapital umgewandelt.
 
Dies war bei der Credit Suisse nicht der Fall. Ihre CET1-Quote lag vor der vergangenen Woche bei 14 Prozent. In der Pressemitteilung der Schweizer Behörden hieß es, dass aufgrund einer Vertrauenskrise ‚das Risiko bestehe, dass die Bank illiquide werde, auch wenn sie solvent bleibe‘, da ‚die Behörden Maßnahmen ergreifen müssten‘. Während Illiquidität offensichtlich in eine Insolvenz übergehen kann, wenn sie sich zu lange hinzieht, scheint eine Insolvenz im Fall der Credit Suisse nicht der direkte Auslöser für die AT1-Umwandlung gewesen zu sein.
 
Der zweite Fall: AT1 können abgeschrieben oder umgewandelt werden, wenn die Bank im Rahmen einer Umstrukturierung oder Abwicklung öffentliche Unterstützung erhält. Es wird in diesem Fall jedoch erwartet, dass das Bail-in – also die Beteiligung der Gläubiger an den Verlusten – nach wie vor entsprechend der Hierarchie der Forderungen geschieht. Das heißt: Zuerst kommen die Aktionäre, dann die Anleihegläubiger und schließlich die nicht versicherten Einlagen an die Reihe. Im Fall der Credit Suisse ist dies nicht geschehen: Obwohl die AT1-Anleihen technisch gesehen vorrangig vor dem Eigenkapital sind, wurden sie vollständig abgeschrieben, während den Aktionären ein Rückforderungswert von 3 Milliarden CHF zugestanden wurde.

Warum also wurden die AT1 der Credit Suisse abgeschrieben?

Das scheint mit einer Besonderheit des Schweizer Bankengesetzes bezüglich der Befugnisse zusammenzuhängen, die die FINMA während eines Sanierungsverfahrens hat. Dazu gehört die Befugnis, die Verpflichtungen der Bank – einschließlich AT1 – teilweise oder vollständig in Eigenkapital umzuwandeln und/oder abzuschreiben.
 
Die FINMA hat dabei im Vergleich zu den meisten globalen Abwicklungsbehörden einen größeren Spielraum. Bei der Entscheidung über die Abschreibung von Verbindlichkeiten in Restrukturierungsverfahren ist sie möglicherweise nicht an eine Rangfolge gebunden. Das bedeutet: Anleihen könnten ganz oder teilweise vor dem gesamten oder eines Teils des Eigenkapitals gestrichen werden.
 
Das Schlüsselwort ist hier ‚könnten‘. Es deutet darauf hin, dass die FINMA nicht verpflichtet ist, wie im Fall der Credit Suisse zu verfahren – sondern lediglich die Flexibilität hat, dies zu tun.
 
Unseres Erachtens war es ein erheblicher politischer Fehler der FINMA, von diesem Ermessungsspielraum Gebrauch zu machen. Er führt zu einer Verzerrung der Forderungshierarchie im Schweizer Finanzsystem und wirft die Frage auf, wie vorrangig die Schuldner der Schweizer Banken tatsächlich sind. Es ist zu erwarten, dass die Aktienumwandlung von nun an ein wichtigeres Merkmal der von Schweizer Banken emittierten AT1-Papiere sein wird – denn diese müssen den Anlegern versichern, dass ihre Papiere nicht vor den Aktien abgeschrieben werden.

Kann dies auch in der EU geschehen?

In der EU würde eine außerordentliche finanzielle Unterstützung einer Bank durch die öffentliche Hand in der Regel eine Abwicklung und damit ein Bail-in in Höhe von 8 Prozent der Verbindlichkeiten auslösen – es sei denn, die öffentliche Unterstützung ist ‚vorsorglich‘, also erforderlich, um ‚eine beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats zu beheben und die Finanzstabilität zu wahren‘. Eine mit dem Fall der Credit Suisse vergleichbare Situation könnte also in geordneter Weise innerhalb der Abwicklungsrichtlinie (BRRD, Bank Recovery and Resolution Directive) gelöst werden.
 
Falls ein Bail-in ausgelöst wird, ist Artikel 48 der BRRD sehr klar, was die Rangfolge bei der Abschreibung von Verbindlichkeiten betrifft: CET1 würde als erstes betroffen sein, gefolgt von AT1, Tier-2-Instrumenten (T2) und allen nachrangigen Schuldtiteln, die nicht AT1 oder T2 sind – und nur, wenn das zur Wiederherstellung des regulatorischen Mindestkapitals nicht ausreicht, unversicherte Einlagen.
 
Bei Anwendung des Bail-ins sieht die BRRD ausdrücklich vor, dass Kredite nur dann abgeschrieben werden können, wenn die unmittelbar nachrangige Schuldkategorie zuerst abgeschrieben worden ist. Das geht aus Artikel 48 Absatz 5 hervor.
 
Der EU-Rahmen bietet den Behörden zwar eine gewisse Flexibilität, um bestimmte Verbindlichkeiten vom Bail-in auszunehmen. Diese ist jedoch sehr viel enger gefasst, als es im Schweizer Rahmenwerk der Fall zu sein scheint. In Artikel 44 Absatz 3 der BBRD werden die ‚außergewöhnlichen Umstände‘ genannt, unter denen dies geschehen kann. Keine dieser Ausnahmen scheint aber darauf hinzudeuten, dass Schulden vollständig vor dem Eigenkapital abgeschrieben werden können.
 
Eine Lösung wie die von den US-Behörden für die Silicon Valley Bank umgesetzte – mit vollständiger Abschreibung von Aktien und Anleihen, aber vollem Schutz der Einlagen – wäre unter der BBRD durchaus möglich. Die Variante, wie sie die FINMA für die Credit Suisse umgesetzt hat – mit vollständiger Abschreibung der AT1-Papiere ohne vollständige Abschreibung der Aktien – hingegen nicht.
 
Diese Lesart des EU-Rechtsrahmens wird auch durch die Veröffentlichung einer gemeinsamen Erklärung des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (Single Resolution Board, SRB) und der EU-Bankenaufsichtsbehörde (European Banking Authority, EBA) untermauert. Darin wird klargestellt, dass nach EU-Recht die Common-Equity-Instrumente die ersten sind, die Verluste auffangen müssen, und dass AT1-Instrumente erst nach deren vollständiger Inanspruchnahme abgeschrieben werden müssen – wie dies in der Vergangenheit in der EU stets der Fall war.
Silvia Merler ist Head of ESG & Policy Research bei Algebris Investments

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