Carsten Mumm / Bild: Privatbank DONNER & REUSCHEL
Der Konjunkturabschwung im Winterhalbjahr 2022/23 fällt in der Eurozone deutlich geringer aus. Allen voran, da eine Gasmangellage und damit Energierationierungen vermieden werden können. Zudem sorgt die derzeitige globale Konjunkturabkühlung an den Weltmärkten für nachgebende Rohstoffpreise, besser verfügbare Vorprodukte und wieder funktionierende Lieferketten.
Nachgebende Inflationsraten in den USA, zuletzt aber auch in der Eurozone, tragen zu Stimmungsverbesserungen bei Unternehmen und Konsumenten sowie der zunehmenden Hoffnung auf Leitzinserhöhungspausen der Notenbanken bei. Zuletzt sorgte die Hoffnung auf ein wirtschaftliches Wiedererstarken der chinesischen Volkswirtschaft ab dem Frühjahr bzw. nach dem Ende der derzeitigen Pandemiewelle für zusätzlichen Optimismus in der Exportindustrie.
Sind die positiven Erwartungen bereits erfüllt?
Da für die Kursbildung an der Börse weniger die aktuelle Lage, sondern vielmehr die Erwartung an die Zukunft relevant ist, haben diese Aspekte schon seit Oktober und seit dem Jahreswechsel mit unverminderter Dynamik für deutlich steigende Aktienkurse gesorgt. Genaugenommen haben sich bei den Wertentwicklungen im Jahr 2023 im Vergleich zum letzten Jahr die Vorzeichen umgedreht. Auch mit Anleihen, Gold und Krypto-Anlagen konnte Geld verdient werden. Die Rohölnotierungen rangieren hingegen ganz hinten auf den diesjährigen Performanceranglisten.
Damit liegt die Frage nahe, ob die zumeist positiven Erwartungen vieler Analysten nicht schon vorzeitig erfüllt wurden und man sich mit der Freude über schnelle Gewinne vorerst wieder von der Börse verabschieden sollte. Abgesehen davon, dass Gewinnmitnahmen noch niemandem geschadet haben, hat sich eine wesentliche, für die Kapitalanlage relevante Grundeinstellung der letzten Jahre allerdings nicht geändert: das negative Realzinsniveau.
Zinsen sind nur die halbe Wahrheit
Wer sich heute darüber freut, dass nominale Zinsen auch für als sehr sicher angesehene Anlagen wie Bundesanleihen oder Kontoguthaben wieder im positiven Bereich liegen, sieht nur die halbe Wahrheit. Denn die noch immer überhöhten Inflationsraten sorgen dafür, dass das Mindestziel der Kapitalanlage, der Erhalt der Kaufkraft, weiterhin nur mit der Vereinnahmung von Risikoprämien möglich ist. Zwar ist davon auszugehen, dass die Inflation in den kommenden Monaten sukzessive weiter sinkt. Allerdings werden die Zinsen voraussichtlich keinen so steilen Anstieg zu verzeichnen haben wie im Jahr 2022. Die Neubewertung aller Anlageklassen – aufgrund der rasanten Zinswende nach jahrelangen Null- und Negativzinsen – spielt in diesem Jahr kaum noch eine Rolle.
Auch wird die Inflation künftig strukturell über den Niveaus der
Vor-Coronazeit liegen. Damit ist das Szenario einer finanziellen
Repression, also dauerhaft negativer Realzinsen, für die kommenden Jahre
nicht unrealistisch. Dies dürfte die Nachfrage nach erträglicheren
verzinslichen Anlagen – wie Unternehmens-, Hochzins- oder
Schwellenländeranleihen sowie realen Anlagen, wie Aktien oder
Edelmetallen – hochhalten.
Aktien legen weiter zu
Obwohl in der aktuellen Berichtssaison für das vierte Quartal 2022 aufgrund einer schwächeren gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und der nur noch eingeschränkten Möglichkeit der Unternehmen, hohe Produktionskosten auf ihre Endverbraucher umzuwälzen, verstärkt Gewinnrevisionen vermeldet werden, konnten die Aktienmarktnotierungen auch Anfang Februar weiter zulegen. Dazu beitragen dürfte, dass viele institutionelle Anleger aufgrund überwiegend skeptischer Erwartungen am Jahresanfang noch nicht ihr komplettes Risikokapital investiert haben und von der positiven Dynamik überrascht wurden. Entsprechend werden kleinere Rücksetzer offensichtlich für Neupositionierungen genutzt.
Mittel- und längerfristige Perspektiven bleiben positiv
Zweifellos bestehen auch in den kommenden Monaten nicht unerhebliche Risiken aufgrund teilweise kaum kalkulierbarer Einflüsse, allen voran von geopolitischer Seite. Wie an den Aktienmärkten üblich, sind daher zwischenzeitlich auch größere Kurskorrekturen wahrscheinlich. Spätestens dann dürfte es sich lohnen, wieder in Aktien bzw. Aktienfonds und ETFs zu investieren. Angesichts eines enormen Investitionsbedarfs von Staaten und Unternehmen zur Erhöhung der Resilienz bleiben die mittel- und längerfristigen Perspektiven positiv. Schließlich haben die letzten Jahre gezeigt, dass die Widerstandsfähigkeit und Funktionalität von Gesundheitssystemen, Bildungseinrichtungen, Lieferketten, Infrastruktur, der Energieversorgung und der Sicherheit vielfach nicht ausreichend war.
Carsten Mumm ist Chefvolkswirt der Privatbank
DONNER & REUSCHEL.
Er ist verantwortlich für die Erstellung der Konjunktur- und
Kapitalmarktprognosen sowie der kapitalmarktrelevanten Publikationen.
Zuvor verantwortete er die Vermögensverwaltung für private und
institutionelle Kunden, das Management von Spezial- und Publikumsfonds
sowie die hauseigenen Research-Tätigkeiten. Der gelernte Bankkaufmann
und studierte Diplom-Volkswirt ist seit 1998 im Bereich Kapitalanlage
beschäftigt. 2006 qualifizierte er sich zum Chartered Financial
Analyst.