Dirk Linowski: Herausforderungen der Wirtschaftspolitik

Eine Rezension von Ulrich Kirstein
Cover: utb Verlag
Eine kurze Vorbemerkung: Das Buch "Herausforderungen der Wirtschaftspolitik" von Dirk Linowski ist Anfang 2022 mit Stand Dezember 2021 erschienen, also nur wenige Monate vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Dass sich die Welt seither verändert hat, ist jedem bewusst. Die erste Auflage stammt von 2021, der Verfasser hat, wie er schreibt, mit Bezug auf Leserstimmen und im Austausch mit deren Meinungen einige Veränderungen vorgenommen. Ob er nun bald eine dritte Auflage nachschieben muss? Nicht unbedingt, wie wir finden, denn auch so bietet das Buch ausreichend Material für den Erkenntnisgewinn des Lesers. Prof. Dr. Dr. h.c. Dirk Linowski ist Direktor des Institutes für International Business Studies und Inhaber des Lehrstuhls für Asset Management an der Steinbeis-Hochschule Berlin.

Annahmen des Autors

Zu Beginn gleich drei ganz grundsätzlichen Annahmen des Autors, die wir versuchen, zusammenzufassen:
 
  1. Die Finanz- und Eurokrise des Jahres 2008 ist noch keinesfalls überwunden, wir stecken noch mitten darin, wie schon ein Blick auf die Schuldenberge der einzelnen Länder beweist.
  2. Deutschland ist die zentrale Industrienation in Europa und noch immer eine der wichtigsten der Welt. Gerne wird Deutschland innerhalb der EU als Zahlmeister interpretiert. Doch die Wertschätzung ist eine andere: „Sein (Deutschlands) moralischer Ruf aber ist nicht nur in Italien und Griechenland angekratzt und seine Durchsetzungskraft gering“. Das dürfte sich in Folge des Ukrainekrieges mit den großen Versprechungen und zögerlichen Handlungen in Sachen Waffenlieferungen und Energiepolitik kaum verbessert haben.
  3. Der Westen steht als Ganzes zur Disposition. Es gibt weder die Demokratie noch die Diktatur als reine Regierungsform, genauso wenig wie es den Kapitalismus oder den Sozialismus gibt, die Privat- und die Staatswirtschaft. Allenfalls Mischformen mit der Neigung zur einen oder anderen Seite.

Ein Lehrbuch - aber kein belehrendes Buch

Vor diesem Hintergrund befasst sich Linowski in den drei Teilen seines Buches mit „Demografie, Bildung und Arbeit“, denn Bildung ist für ihn vor allem auch Wirtschaftspolitik und wesentliches Gut auf der Habenseite unseres Landes. Teil zwei hat er mit „Staat und technologischer Wandel“ überschrieben, hier geht es um Währungen, Wettbewerb und Regulierung sowie Energieversorgung, Klimaschutz und Energiewende. Abschließend folgt „Deutschland in der Welt“. Jeder Teil endet mit einem Zwischenresümee, das noch einmal die wesentlichsten Thesen zusammenfasst, denn es handelt sich, soviel sei vorausgeschickt, vor allem um ein Lehrbuch! Wenden wir uns zumindest kurz den drei Teilen zu - wir wollen ja nicht zu viel vorausschicken, sondern zum Lesen (und Kauf) des Buches anregen.

Von Bildung bis Putin

„Langfristig scheinen die Staaten erfolgreich zu sein, die charakterisiert sind durch einen hohen Bildungsstandard ihrer Bevölkerung, eine relativ geringe Ungleichverteilung des Einkommens und die Fähigkeit zur technischen und organisatorischen Innovation, verbunden mit der Fähigkeit zur ‚Fehlerkorrektur‘“ heißt der vielleicht zentrale Satz im ersten Teil des Buches. Nun kann, gerade auch bei der "Fehlerkorrektur", jetzt jeder selbst entscheiden, wie da Deutschland dasteht, bevor er zu dem Buch greift.
 
Schon vor dem Ukraine-Krieg spricht der Autor von einer „Anarchisierung der Weltpolitik“, weil sich die USA als Ordnungsmacht der Welt zurückgezogen hätten. Wie kann sich Deutschland und Europa in einer zusehend unübersichtlicheren Welt behaupten,  lautet die zentrale Fragestellung des zweiten Teils. Es gibt darin einen volkswirtschaftlichen Exkurs zu den Finanzmärkten, Zinsen, Aktien- und Rohstoffmärkten. Interessant, Linowski zeigt bereits die heftigen Kursbewegungen bei Kupfer und Weizen auf – wie angemerkt, vor dem Ukraine-Krieg. Den technologischen Wandel, dem wir derzeit unterworfen sind, vergleicht der Autor mit den Umwälzungen um 1500 und der industriellen Revolution um 1900.

Im umfanreichen dritten Teil des Buches will der Verfasser eine „Vogelflugperspektive“ einnehmen und Deutschland im Vergleich zum „Konzert der Großen“, also USA, China und auch Russland betrachten, aber auch mit einem Seitenblick zu den Emerging Markets, in denen die Mehrzahl der Menschen leben. Dem Autor geht es um die sogenannte „unterste Milliarde“, das sind jene Menschen, die in ökonomisch weitgehend abgehängten Ländern leben – und inzwischen weit mehr als eine Milliarde sind. Wir werfen der Neugierde halber einen Blick auf seine Einschätzung gegenüber Russland, muss er sie revidieren? Er zeichnet ein erschreckende Bild auf die Entwicklung Russlands seit dem Ende der Sowjetunion, ein Land voller Gewalt, Perspektivlosigkeit, sinkender Lebenserwartung bei Männern und der Verbreitung von Korruption und Armut. Da seien auch die westlichen ehemaligen Sowjetrepubliken kaum besser, einschließlich der Ukraine, argumentiert Linowski. Die hohe Zustimmungsrate für Putin in Russland führt Linowski deshalb auf die völlig chaotischen Jahre zwischen dem Verfall der Sowjetunion und dem Machtantritt Putins zurück, die die Russen noch in sehr guter Erinnerung bewahren.

Wissen kann auch verloren gehen

Ein zentraler Merksatz des Buches, der einem in diesen Zeiten und beim Stöbern in den Sozialen Netzwerken durchaus nicht fremd erscheint, lautet: „Wir müssen noch verstehen lernen, dass Wissen nicht nur geschaffen wird, sondern dass es auch verloren geht“! Wir sind uns nicht ganz sicher, ob die Balance von Wissen schaffen und Wissen verlieren im Westen derzeit noch ausgeglichen ist. Nun, sie ein wenig hin zu mehr Wissen zu verbessern, dient dieses Buch ausgezeichnet. Als Lehrbuch ist es gespickt mit Kästen, kleinen Symbolen und Literaturtipps zur Vertiefung des Gelesenen, außerdem gibt es Selbstaufgaben mit und ohne Lösungen. Von Ferne erinnert es damit an die bekannten und beliebten „Für-Dummies-Bücher“. Das hemmt aber nicht den Lesefluss der mehr als 400 Seiten, ganz im Gegenteil, jeder kann das Buch so einsetzen, wie er es für richtig hält (wenn er nicht gerade Student ist). Und die Literaturtipps beschränken sich keinesfalls auf Wirtschafts- oder nur Fachbücher, da wird Hans Fallada mit „Der eiserne Gustav“ genauso herangezogen wie Hans Joachim Störigs „Weltgeschichte der Philosophie“ oder die „Encyclopaedia Britannica“.

Eine Empfehlung

Bereits zu Beginn schreibt Linowski: „Intelligenz und Bildung begünstigen a priori weder Erkenntnisfähigkeit noch die Fähigkeit zur Selbstkritik, sondern sie verstärken (wenn auch nicht immer) oft eigene Vorurteile“. Wir hoffen, dem nicht verfallen zu sein und danken dem Autor für das Buch, dem wir viele Leser, zum Beispiel aus der Bundesregierung (und hier wäre der Wirtschaftsminister nicht der Letzte, an den wir denken) wünschen.

Die Allgemeinbildung des Lesers erweitern und neue Perspektiven erschließen, das sei Intention seines Buches gewesen, schreibt Linowski im Schlusswort. Das können wir ihm nicht absprechen, uns hat die Lektüre sowohl Freude (der Erkenntnis) als auch überraschendes Einblicke verschafft. „Unser Wohlstand wird weiter auf Gedeih und Verderb von unserer Bildung … abhängen“, heißt es – man muss diese allerdings auch anwenden!
Herausforderungen der Wirtschaftspolitik
2. vollständig überarbeitete Auflage
von Dirk Linowski
•    Umfang: 426 S., 45 Abb., 10 Tab.
•    Einband: kartoniert
•    Format: 17 x 24 cm
•    Verlag: UVK Verlag
•    Erscheinungsdatum: 04.04.2022
•    ISBN: 9783825257910
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