Kein „free lunch“

Dr. Karsten Junius, Bank J. Safra Sarasin
Karsten Junius / Bild: Bank J. Safra Sarasin
So ganz langsam wird es allen klar: Die Pandemie war kein Wirtschaftsförderungsprogramm, das uns alle mittels staatlicher Subventionen und höheren Vermögenspreisen reicher macht. Die Rechnung bekommen wir aktuell, in Form von steigenden Inflationsraten, höheren Zinsen und fallenden Aktienkursen. Sie kommt zur Unzeit, da zu bestehenden Problemen neue hinzukommen. Gehofft hatten wir, dass sich die Welt in diesem Jahr im Kampf gegen den Klimawandel und den Verlust an Biodiversität vereinen würde. Zu offensichtlich ist dessen Notwendigkeit und Dringlichkeit. Aber einmal mehr wird dieser Kampf von anderen Problemen verdrängt. Eher spaltet sich die Welt, als dass sie sich vereint. Die offensichtlichste Frontlinie verläuft derzeit durch die Ukraine. Sie teilt den europäischen Kontinent erneut auf eine bislang ungeahnte Weise und legt gegenseitige Abhängigkeiten schonungslos offen. Der Versuch, sich wirtschaftlich voneinander zu entflechten, dreht das Rad der Geschichte zurück.

Verlust an Ressourceneffizienz

Weniger Globalisierung reduziert leider nicht nur die Abhängigkeit von ausländischen Produzenten, sondern auch die effiziente Ressourcenallokation und die damit verbundenen Handelsgewinnen, die in den Entwicklungs- und Schwellenländern hunderte Millionen Menschen aus der Armut geführt haben. In den Industrieländern resultieren vor allem niedrigere Güterpreise aus dem intensiveren Welthandel. Weniger Globalisierung bedeutet daher höhere Preise bislang importierter Güter. Diese politisch gewollte Regionalisierung des Handels und die damit verbundenen höheren Preise kommen zu einer ungünstigen Zeit – einer, in der aufgrund der Pandemie die Lieferketten immer noch gestört sind und Knappheit bei vielen Gütern, aber auch auf den Arbeitsmärkten besteht.

Die Politik hat rasch reagiert

In den USA wird die Inflation zusätzlich von einem wirtschaftspolitischen Stimulus angefacht, der sich im Nachhinein als zu groß herausgestellt hat und die Nachfrage weiterhin stimuliert – ein Politikfehler. Und dennoch sind wir mit Politikschelte vorsichtig. In der großen Finanzkrise von 2008 und während der europäischen Schuldenkrise ab dem Jahr 2010 sind die finanz- und geldpolitischen Stimuli zu zaghaft und zu langsam ausgefallen. Das Resultat war eine Wirtschaft, die zu lange unterhalb ihres Potenzials wuchs und zu hoher und lang anhaltender Arbeitslosigkeit geführt hat. Die sozialen Folgen waren verheerend. Daraus hat die Politik gelernt und gleich zu Beginn der COVID-Pandemie schnell, koordiniert und beherzt zugepackt. Die Wohlfahrtsverluste der letzten Krisen sind dadurch ausgeblieben. Innerhalb kürzester Zeit konnten die Arbeitslosenquoten wieder auf das Vorpandemie zurückgebracht werden.

Das Vertrauen leidet

Nun sehen wir aber, dass auch das seinen Preis hat. Die hohe Nachfrage bei gleichzeitigen Lieferengpässen führt zu steigenden Preisen, heiß laufenden Arbeitsmärkten, steigenden Löhnen und der Gefahr anhaltend hoher Inflationsraten. Letztere müssen Zentralbanken mit höheren Zinsniveaus als vor der Pandemie bekämpfen. Höhere Zinsen wiederum belasten nun die Wirtschaft – allen voran den zinsreagiblen Immobilien- und Bausektor und die hoch bewerteten Technologieaktien. Aber auch das Verbrauchervertrauen leidet in diesem Umfeld stark und dürfte sich auch nicht so schnell wieder auf die Jahresanfangsniveaus erholen, sondern den privaten Verbrauch in den nächsten Quartalen dämpfen. Neue Krisen führen also zu neuen Antworten, aber auch zu neuen Problemen. Der «free lunch» bleibt leider erneut aus.
Dr. Karsten Junius ist Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin. Er leitet das Economic Research der Internationalen, in der Schweiz ansässigen Bank. Davor war Junius beim Internationalen Währungsfonds als Principal Economist tätig. Der an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel promovierte Volkswirt war nach dem Studium am Institut für Weltwirtschaft in Kiel beschäftigt, danach arbeitete er als Ökonom bei Metzler Asset Management und war Leiter Kapitalmarkt und Immobilien Research bei der DekaBank.