Alles oder nichts

Ulrich Kirstein mit der Presseschau am Freitag
Ulrich Kirstein / Bild: BBAG/Killius
Der DAX ging Anfang der Woche auf Erholungskurs, „machte Boden gut“, wie die Die Welt feststellte, nur um zum Ende hin wieder nachzugeben: „Zunehmende Zinsängste drücken DAX“, so die Börsen-Zeitung und auch Die Welt konstatierte „DAX dreht ins Minus“. Den Hauptgrund nennt Die Zeit: „Die Inflation treibt mich um“ heißt es dort über den neuen Bundesbankpräsidenten. Bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat es die Inflation sogar auf die Titelseite geschafft. Zu sehen ist eine Karikatur mit Helden aus der Asterix-Serie: Der Römer Technokratus hält zwei Geldsäckchen hoch, ihm gegenüber steht ein erstaunt nach oben blickender Obelix. „Die Preise sind gestiegen“, so der Römer, „Wohin denn“ fragt verwundert Obelix. Das Comic stammt aus dem Jahr 1976, auf Deutsch erschien es zwei Jahre später: Die „Obelix GmbH & Co. KG.“ Die Idee des Heftes: Die Gallier sollen aufgrund plötzlichen Reichtums in die Dekadenz und den Untergang getrieben werden – eigentlich eine Pflichtlektüre für den Wirtschaftsunterricht.

Genial oder geblendet

Im wahrsten Sinne des Wortes zwiespältig gab sich Focus Money in der aktuellen Ausgabe: Auf dem Titel wurden auf der linken Hälfte „Techaktien im Angebot“ gepriesen, auf der rechten Hälfte jedoch „Star-Investor Frank Thelen unter Druck“ gesetzt. „Visionär oder Blender?“ lautete die Frage. Wir wollen Thelen aus seinem Interview aus dem Heft zitieren: „Deutschland fehlen einfach manchmal die Euphorie und die Passion, sich auf neue Dinge einzulassen“. Manchmal? Zumindest „12 geniale Aktien Made in Germany“ verspricht uns Börse Online, die wir uns, wohlwissend, weit entfernt jeder Genialität zu sein, näher angesehen haben. „Deutsche Wertarbeit“ heißt es im Heft dazu, unter die Lupe werden „Nischenplayer“ genommen, wobei die Branchen von Stahl bis Marketing, von Digitalisierung bis Logistik und von Schmierstoffen bis zu Autozulieferern reichen. Wir sind nicht am Heftumsatz beteiligt, schweigen aber trotzdem über die Einzeltitel.

Alle(s) oder Nichts I

Einen eigenen Absatz hat das Titelbild der Januar/Februar-Ausgabe von Das Investment verdient, über das wir uns lange keinen Reim machen konnten. Vor Goldgrund ist nichts anderes zu erkennen als eine kleine, leere Toilettenrolle, ein Rollenkern also. Uns fiel der bekannte Spruch: „Auch das beste Hotel verliert die Sterne, gibt’s auf dem Klo nur Rollenkerne“ ein, aber das half uns auch nicht weiter. Was hatte das zu bedeuten, denn darüber stand auch noch in Versalien „ALLE“ geschrieben. Ja, nach gefühlt unendlichen Jahren Pandemie und regnerischem Winterwetter vor dem Bürofenster fühlen auch wir uns irgendwie innen hohl und außen pappig – aber befinden wir uns ALLE jetzt auf dem Niveau einer Klorolle? Und dann auch noch ohne Häkelgewand? Die Lösung stand im Kleingedruckten: „Warenmangel und Inflation: Die Weltwirtschaft steht zu Weihnachten gleich vor zwei neuen Giga-Problemen“. Nun, das Weihnachten im Februar verwirrte noch mehr, aber alle heißt eben nicht nur alle, sondern auch leer, wenn einmal mehr die Chips "alle" waren, noch bevor der Film begann.

Alles oder Nichts II

Wir bewegen uns im Krypto-Wahn, der von Ferne immer mehr an den Hype um holländische Tulpenzwiebeln im 17. Jahrhundert erinnert, bei dem kurzfristig eine Zwiebel den Gegenwert eines Hauses einnahm (damals waren die Immobilienpreise günstiger!). „Parodie des Kapitalismus“ nennt Jannis Brühl in der Süddeutschen Zeitung das „Milliardengeschäft mit digitaler Kunst“. Denn mit Hilfe von NFT – Non Fungible Tokens – lassen sich per digitalem Nachweis einzigartige Kunstwerke erwerben und veräußern. Bestenfalls seien solche Kunstwerke jedoch eine Fata Morgana, schlimmstenfalls ein Pyramiden- oder Schneeballsystem. Man sollte beim Kauf, so der Rat von Brühl, eben so viel Humor wie Geld mitbringen. Der Fairness halber hat die Süddeutsche Zeitung dem auch noch ein „Pro“ beigesellt, „Gut fürs Bürgertum“ von Philipp Bovermann. Es ist die Einzigartigkeit der Non Fungible Tokens, die die Spekulationsblasen anheizen, denn Einzigartigkeit bedeutet emotionale Zuwendung. Wir fragen uns, was Walter Benjamin zu dieser Aura eines Kunstwerkes gesagt hätte und ob sich die Besitzer ihre iPads über den Kamin hängen werden. Doch es gäbe auch konkretere Anwendungen, nämlich sein eigener Herr über die im Internet selbst verbreiteten Inhalte zu sein statt abhängig von den großen Plattformen. Die BaFin sieht sich wenigstens genötigt, vor Ratschlägen über Krypto zu warnen: „Aufsicht: Vorsicht bei Finanztipps auf Social Media“ titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Liefern oder lassen

Was auch immer Delivery Hero liefert, schwarze Zahlen sind es nicht. Dementsprechend brauchen Investoren den Mut eines Heroen, um die Aktien zu halten – viele gaben jedoch auf und ein Absturz von zeitweise über 30 Prozent war die Folge: „Delivery Hero verdirbt den Appetit“ lautet passend die Headline in der Börsen-Zeitung, „Crash setzt sich fort“, stellt etwas nüchterner Der Aktionär fest. Doch verharren wir nicht im Negativen, der Münchener Siemens-Konzern lieferte das Gegenteil und damit positive Schlagzeilen: „Siemens erlebt Ansturm wie im Schlussverkauf“ freute sich die Börsen-Zeitung. Ob’s bei Aldi & Co. bald Generatoren, Getriebemotoren und Netzwechselrichter aus dem Hause Siemens gibt?

Langstrumpf oder Leyen

Wir geben es zu, wir konnten uns unter der Überschrift im Kommentar von Stefan Reccius in der Börsen-Zeitung nichts Konkretes vorstellen: „Ursula Langstrumpf“. Gemeint war natürlich Ursula von der Leyen. Aber was teilt sie mit Pippi Langstrumpf? Hat sie ein Pferd, das sie ab und zu in die Höhe hebt? Singt sie auf dem Weg zur Arbeit? Wir wissen es nicht, definitiv wissen wir, dass ihr Vater kein Insel-König war, sondern nur ein Ministerpräsident! Aber von der Leyen beherrsche zumindest, wie Reccius anmerkt, die Grundrechenarten: Denn die europäische Chipindustrie solle in den nächsten zehn Jahren den Weltmarktanteil von 10 Prozent auf 20 Prozent verdoppeln – da im gleichen Zeitraum sich aber auch die Nachfrage verdoppeln werde, müsse Europa also 4 mal so viel produzieren wie aktuell. Oder 2 mal 2 macht 4! Bei Pippi heißt es ja, 2 mal 3 macht 4 und 3 macht neune, wenn wir uns recht erinnern. Nun wird nicht gleich jede und jeder, der besser als Pippi rechnen kann, auch mit ihr gleichgesetzt, aber von der Leyen mache sich die Welt auch so, wie es ihr gefällt – und das reimt sich dann ein weiteres Mal auf Pippi. Und vielleicht hat sie ja auch ein "kunterbuntes Haus" in Brüssel?

Absturz oder Höhenflug

Gut, dass Teslas nicht fliegen können, dachte man sich aus aktuellem Anlass. Denn von den 49 Satelliten, die Elon Musks Unternehmen SpaceX kürzlich ins All geschossen hat, sind sage und schreibe 40 wieder abgestürzt – ein Sonnensturm soll die Ursache gewesen sein. Sie sollen einmal für schnelles Internet sorgen – dafür braucht Musk insgesamt 40.000 Satelliten, bleibt zu hoffen, dass die Ausfallquote in Zukunft geringer ausfällt. Immerhin, für Weltraumschrott sorgen die Satelliten nicht, sie verglühen auf ihrem Weg zur Erde, ein hübsches, und siehe oben, auch irgendwie einzigartiges Bild abgebend. „Sonnensturm lässt 40 SpaceX-Satelliten abstürzen“ hieß es in der Süddeutschen Zeitung. Die WirtschaftsWoche wusste auch, wer die Schuld trägt, wer sie eben immer trägt: Die Wettervorhersage.