Branchenfokus - wo ich arbeite, da kenne ich mich aus

Norbert Betz, Psychofallen an der Börse (10)
Bild: BBAG/Killius
Im zehnten Teil unseres Exkurses zur Börsenpsychologie zeigen wir, wie sich oftmals Interessen und Fachkenntnisse der Anleger in ihren Depots widerspiegeln. Doch dieses vermeintliche Wissen führt nachweislich nicht zu einer Überperformance, sondern verstärkt vielmehr noch das allgemeine Lebensrisiko.
Sage mir, was Du tust, und ich sage Dir, welche Aktien Du im Depot hast, so könnte man die Sektorenverliebtheit umschreiben. Sie ist neben dem Home Bias (unsere Falle Nummer 9) eine allzu häufige und gefährliche Börsenfalle, die das Risiko unserer Kapitalanlage unnötig erhöht. Es ist eine einfache, aber auch eine böse Falle, denn sie kann sich sogar existenzbedrohend auswirken. Weil Anleger insbesondere in Branchen investieren, in denen sie selbst tätig sind, potenzieren sie ihr Lebensrisiko.
 
Banker legen vornehmlich in Bank- und Versicherungsaktien an, IT-Spezialisten in IT-Unternehmen, Apotheker in Pharma-Werte und so weiter. Dort kennen sie nicht nur das eigene, bestenfalls börsennotierte Unternehmen, sondern auch die Konkurrenz. Sie sind mit den Produkten vertraut, vielleicht sogar den Produktionsabläufen und Märkten, dort fühlen sie sich besser informiert als alle anderen. Zahlreiche Studien belegen aber, dass das vermeintliche Insiderwissen in der Börsenpraxis nicht zu besseren Ergebnissen führt, schon weil in unseren hochspezialisierten Informationsgesellschaften es kaum noch möglich ist, einen reellen Wissensvorsprung gegenüber all den Analysten zu behaupten, die sich auf die jeweilige Branche spezialisiert haben und sie täglich im Auge behalten.

Wenn es die Branche trifft, trifft es auch das Vermögen

Was aber passiert, wenn die Branche, in der wir tätig sind und unser Geld angelegt haben, einmal schwächelt, wenn deshalb gar der eigene Arbeitsplatz verloren geht? Gerade die Bankenbranche kann ein Lied davon singen, kaum ein anderer Sektor befindet sich so im Umbruch wie sie, in kaum einem anderen sind so viele Institute gänzlich vom Markt verschwunden oder befinden sich in einem permanenten Schrumpfungsprozess. Was aber tut ein Banker, wenn die Titel in seinem Depot, dessen Werthaltigkeit er in schlechten Zeiten notwendig gebrauchen könnte, Tiefststände erreichen? Was nützte ihm da alles Wissen über die einzelnen Gesellschaften, wenn der Trend gegen die gesamte Branche läuft, weil etwa Fintechs oder die von den Notenbanken verordnete Niedrigzinsphase ihnen das Geschäftsmodell rauben? Eine ähnliche Erfahrung mussten viele IT-Spezialisten nach dem Platzen des Neuen Marktes machen – viele waren nicht nur ihren Job los, viele nannten auch ein deutlich geschrumpftes Depot ihr eigen. Oder denken Sie aktuell an die großen Umbrüche in der Automobilindustrie und so ließen sich noch einige Branchen und Sektoren aufführen.

Sichere, konjunkturresistente Titel

Also: Konzentrieren Sie sich nicht ausschließlich auf die eigene Branche, investieren Sie ganz bewusst auch in Sektoren, in denen Sie nicht tätig sind – von denen Sie aber vielleicht die Produkte kaufen oder gerne kaufen würden. Niemand verlangt, dass Sie in Unternehmen investieren, deren Geschäftsmodell Sie überhaupt nicht verstehen – im Gegenteil, davon rate ich dringend ab.
 
Wählen Sie „sicherere“ Titel aus Branchen, die relativ konjunkturresistent sind. Beispiele wären die Nahrungsmittelbranche oder die Chemieindustrie, die Pharma- und Medizintechnik, aber auch die Ölindustrie dürfte für die nächsten Jahre und Jahrzehnte nicht wegzudenken sein von unseren modernen Industriegesellschaften. Dass sich Brancheneinschätzungen auch ändern können, zeigt unser heute vielleicht skeptischerer Blick auf die Automobilbranche oder auf die Versorger, die lange Zeit als quasi »mündelsicher« galten, aber nun aufgrund politischer Imponderabilien große Teile ihres lange Zeit erfolgreichen Geschäftsmodells einbüßten.
Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent (online und offline) und Autor.
Gemeinsam mit Ulrich Kirstein hat er Börsenpsychologie simplified, 2. Auflage 2015, erschienen im FinanzBuchVerlag, geschrieben. Für die Börse München außderdem das Booklet Psychofallen an der Börse. Wie wir sie erkennen und vermeiden. (2. Auflage 2021)