Nachhaltiges Investieren – Vorsicht, es drohen auch Gefahren und Enttäuschungen

Philipp Busler, Huber, Reuss & Kollegen Vermögensverwaltung
Philipp Busler / Bild: Huber, Reuss & Kollegen Vermögensverwaltung
Nazarè, ein Ort an der portugiesischen Atlantikküste, ist für die gewaltigsten Wellen der Welt bekannt. Ein fast 230 Kilometer langer und bis zu fünf Kilometer tiefer Unterwassergraben vor der Küste kanalisiert nach heftigen Stürmen die Energie des Wassers und lässt wahre Monsterwellen auf die Küste zurollen. Diese Spektakel gibt es zwar schon seit Menschengedenken, doch erst seit etwa zehn Jahren interessiert sich die breite Öffentlichkeit dafür. Seitdem verändert sich der Ort dramatisch.

ESG wird hochgepusht

Ähnlich wie mit den Riesenwellen bei Nazarè verhält es sich mit dem Thema Nachhaltige Geldanlage. Obwohl schon immer vorhanden erfährt es erst jetzt die Aufmerksamkeit der breiten Masse. Hintergrund ist die zunehmende Sorge um den Klimawandel und seine Folgen. Große Teile der Privatwirtschaft, aber auch viele Regierungen versuchen inzwischen dagegen zu steuern. Der von der Europäischen Union ausgearbeitete European Green Deal, der Clean-Energy-Plan in den USA, Chinas Bekenntnis zur CO²-Neutralität bis 2060 und die sich dramatisch verändernde Regulatorik sind nur einige von vielen Beispielen, wie das Thema ESG gepusht und massiv in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt wird. ESG steht dabei für die Begriffe Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Je besser ein Unternehmen im Bereich ESG abschneidet, desto klimafreundlicher, sozialer und kultivierter in der Unternehmensführung agiert es.

Vom Nischenprodukt zum Marktstandard

Längst ist das Thema auch am Kapitalmarkt angekommen, immer mehr Anleger berücksichtigen ESG-Kriterien bei ihren Investmententscheidungen. Laut einer Studie der Global Sustainable Alliance (GSIA) liegen inzwischen fast 31 Billionen Dollar in nachhaltigen Investments – Tendenz stark steigend. Dabei sind es nicht nur institutionelle Geldverwalter, die auf das Thema setzen. Auch Privatanleger zeigen sich offen. So wollen laut einer Studie der Fondsgesellschaft Schroders 77 Prozent der Privatanleger nicht in etwas investieren, was gegen ihre persönlichen Überzeugungen verstößt. Dieser Trend spiegelt sich in den Kapitalströmen wider. Laut einer Analyse des ETF-Anbieters Lyxor flossen 2020 in Europa 45,5 Milliarden Euro in Indexfonds (ETFs), die auf ESG-Kriterien beruhen. Das ist mehr als doppelt so viel wie 2019 und mit einem Anteil von 51 Prozent der Löwenanteil der ETF-Zuflüsse. Damit haben sich die ESG-Produkte binnen kürzester Zeit raus aus der Nische zu neuen Marktstandards entwickelt. Und ein Ende des grünen Aufschwungs ist nicht absehbar.

Hohe Bewertungen und Greenwashing

Der Boom hat allerdings auch Nachteile. Durch die enormen Kapitalströme werden die Aktien, die in den passiv gemanagten Indexfonds enthalten sind, auf immer neue Rekordstände getrieben. Die Folge sind teils extrem hohe Bewertungen, wie sich an hoch zweistelligen Kurs/Gewinn-Verhältnissen ablesen lässt. Dies lässt die Gefahr empfindlicher Rückschläge wachsen, sollte plötzlich Kapital aus den ESG-Fonds wieder abgezogen werden.
 
Darüber hinaus haben Nachhaltigkeitsfonds mit einem anderen Problem zu kämpfen: dem Greenwashing, also wenn die Vorteile einer Anlagestrategie übertrieben oder falsch dargestellt sind. So mancher Fonds, der sich das Label ESG oder Nachhaltigkeit aufklebt, ist auf den zweiten Blick gar nicht so grün.
 
Auch bei Anleihen sollten Anleger genau hinsehen. Bei den sogenannten Green Bonds lässt sich häufig kaum nachvollziehen, ob ein Unternehmen das eingesammelte Kapital tatsächlich so nachhaltig einsetzt, wie es gegenüber den Gläubigern versprochen wurde.

Best-in-Class-Ansatz führt zu Enttäuschungen

Bei vielen Anlegern führt zudem der sogenannte Best-in-Class-Ansatz zu Enttäuschungen. Bei diesem Auswahlkriterium picken sich Fondsmanager jene Unternehmen heraus, die in Sachen ESG innerhalb ihrer Branche am weitesten und somit Vorbilder für die Konkurrenten sind. Dass in einem Best-in-Class-Portfolio auch Aktien oder Anleihen von Unternehmen aus dem Öl- oder Automobilsektor enthalten sein können, die Anleger eigentlich meiden wollen, ist diesen oft nicht bewusst.

Die Krise als Chance - gerade auch bei ESG

Trotz dieser Probleme und Gefahren ist dürfte die ESG-Welle erst am Anfang stehen. Unter Umständen erhält sie sogar ausgerechnet durch die Corona-Pandemie einen zusätzlichen Schub. Die Pandemie hat anfällige Geschäftsmodelle schonungslos offengelegt. Gleichzeitig haben viele Unternehmen gezeigt, wie schnell sie sich auf Veränderung einstellen können, wenn es nötig ist. Vor diesem Hintergrund bietet die Krise den Unternehmen auch die Chance, sich mit einem nachhaltigen Ansatz im Wettbewerb neu zu positionieren – und somit neue Investoren anzuziehen.
Philipp Busler ist Senior-Portfoliomanager und ESG-Analyst (CESGA) bei Huber, Reuss & Kollegen Vermögensverwaltung