Leerverkäufe beim Friseur

Ulrich Kirstein mit der Presseschau am Freitag
Ulrich Kirstein / Bild: BBAG/Killius
Die Woche startete mit neuen Allzeithochs an den Börsen und der frohen Botschaft, dass Friseure wieder öffnen dürfen, die „Seelentröster der Nation“ (Die Welt). Locken down im Lockdown könnten wir witzeln, wenn es nicht so ernst wäre. Eher absurd findet das Gregor Waschinski im Handelsblatt: „Die Haare schön“ ist sein Kommentar überschrieben. Ansonsten starren wir jetzt gebannt auf die 35er Marke, dann dürfen wir die neue Frisur vielleicht auch ins Theater ausführen oder uns im Museum zeigen. „Der Brotkrümel fürs Volk heißt jetzt 35“ ist der Kommentar in Der Welt überschrieben. Deutschland verliert wöchentlich eine Wertschöpfung von 1,5 Milliarden Euro, äußerte sich das ifo-Institut (Der Spiegel), da nutzt auch der Gang zum Friseur nur wenig! Italien übrigens denkt nicht nur über einen Haar-, sondern gleich über einen Schuldenschnitt nach – was wiederum Martin Greive im Handelsblatt für eine „ganz dumme Idee“ hält. Eine gute Idee wäre vielleicht, wenn Hippster vor dem 1. März mit Zertifikaten für Friseurtermine handeln würden, momentan sind das aber reine Leerverkäufe. Apropos Leerverkäufe, Fonds Professionell startete zum Thema – Leerverkäufe, nicht Friseure – gar ein Quiz über „Börsen-Bösewichter“ - bei Friseuren hätten wir vielleicht doch besser abgeschnitten...

Gut ist besser als nichts

Wir maßen uns ja keinesfalls an, von jenen Stellen gelesen zu werden, über die wir berichten. Aber vergangene Woche zeigten wir auf, dass die Finanzmagazine gerne zum Superlativ „bestens“ greifen – und prompt rudert Focus Money diese Woche zurück und begnügt sich mit dem Komparativ: „Besser als Alles“ auf dem Titel. Unser Tipp für nächste Woche: „Gut für Anleger“. Es geht Focus Money um sieben Strategien, die zum Erfolg an der Börse führen sollen. Auf Umweltbewusstsein setzt Börse Online, mit einem überraschend ganz in Weiß und nicht in Grün gehaltenem Cover verspricht das Magazin „3 Trends, 12 Aktien, 100% korrekt. So verdienen Sie Geld und tun etwas für die Umwelt und Ihre Mitmenschen“. So kann man im Heft beispielsweise Aktien, die vom Vegetarismus profitieren, finden, „heiß wie Fritten-Fett“!? Im Blatt toppen sie dann doch noch unsere „bestens“-Betrachtung: „Die besten der Besten“ heißt es da, und gut, wir hätten „Die Besten der Besten“ geschrieben. Es geht um die besten (!) Börsen der Welt, ein „fundamentales Länderranking“. Auf Platz 1: Indien!

Schnäppchen

Schnäppchen müssen ja nicht immer günstig sein, aber Focus Money zeigt eine eigene Strategie mit Pennystocks auf: „Nervenkitzel für einen Euro“. Allerdings brauchen Anleger künftig einige Pennystocks, um die anziehende Inflation bekämpfen zu können. Die liegt derzeit bei 1 Prozent, Tendenz steigend (Capital, BR) und könne, so Bundesbankpräsident Jens Weidmann, gar auf 3 Prozent steigen (Augsburger Allgemeine). Kein Wunder, dass die Mehrzahl der EU-Bürger die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank kritisch sieht, wie eine Befragung der EZB ergab und über deren Ergebnis die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete. Das Programm der EZB, das zu dieser Untersuchung führt, heißt im Übrigen „ECB Listens“! Wir hören und staunen. Mit der BVB-Aktie – kein Pennystock, aber günstig – befasste sich das Handelsblatt: „Günstig, aber unsicher“ überschrieb Leonidas Exuzidis seinen Artikel und stellte fest: „Das geringe Niveau der BVB-Aktie bietet Einstiegschancen“. Leider schürt das derzeit geringe Niveau der BVB-Spieler die Sorge, die Champions-League könne nächste Saison verpasst werden – mit Folgen für die Umsatzzahlen und wohl auch die Aktie.

Aufstand gegen die Realität

Und noch ein letztes Mal – vielleicht – Anmerkungen zu GameStop, nachdem die Aktie nun wieder fast auf den Ausgangspunkt vor dem Anrollen der Spekulationswelle gefallen ist. Björn Godenrath verweist in seinem Kommentar in der Börsen-Zeitung auf die neuen Broker. Sie haben durch einfaches und kostengünstiges Ordern, gerne per Smartphone, eine neue Generation von Anlegern angelockt. Und „der Kern dieser Kleinanleger ist nicht so naiv, wie gerne von Aktienprofis unterstellt wird“. Unter der Überschrift: „Neobroker sorgen für Teilhabe“ stellt er fest, diese hätten „für die Aktienkultur mehr getan als eine träge wirkende Branchenlobby“. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde die GameStop-Story gar mit einem Artikel im Feuilleton geadelt: „Das Böse an der Börse bekämpfen“. Gefeiert wurde es als „Ausdruck einer neuen Jugendkultur – und ein Aufstand gegen das Realitätsprinzip“! Sehr real dürften allerdings die Verluste sein, die viele Anleger verbuchen müssen.