Kursraketen sind erlaubt

Ulrich Kirstein mit der Presseschau am Freitag
Ulrich Kirstein /Bild: BBAG/Killius
Das Jahr neigt sich dem Ende zu, erkennbar vor allem an den vielen Rück- und Ausblicken. Bei ersteren kommt man sich beim Jahr 2020 vor wie Frau Loth und möchte zur Salzsäule erstarren. Beim Ausblick hoffen wir,  dass der DAX noch in diesem Jahr und mit dreißig Unternehmen ein neues Allzeithoch schafft. Weit ist es nicht mehr, aber die letzten Meter sind ja bekanntlich die schwersten. Nur noch dieses Jahr haben die Unterhändler in Sachen Brexit Zeit, genauer wurde der Termin bis Sonntag verschoben und man spricht von „Post-Brexit-Verhandlungen“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung), „Stunde der Wahrheit“ (Stern) oder gar „Schule der Geduld“ (Tagesschau). „Ausdauer wird früher oder später belohnt – meistens aber später“, wusste schon Wilhelm Busch.

Parabolisch & kryptisch

Börse Online kommt uns diese Woche ganz kryptisch: „Bitcoin“ prangt groß auf ihrem Titel und die Ausgabe widmet sich der „Rally der Kryptowährungen“. „Jeder Rückschlag ist eine Chance“ heißt es weiter – nun, das sollte nicht nur für Kryptowährungen gelten. Im Heft heißt es weiter, dass der Bitcoin „genügend Treibstoff“ habe, um „die zweite Stufe der Kursrakete zu zünden“. Wir würden zumindest in diesem Jahr des Böllerverbots das Wort „Kursrakete“ gerne vermeiden, aber laut Börse Online-Redaktion geht der „parabolische Kursanstieg“ weiter. Das erinnert uns an den Roman „Die Enden der Parabel“ von Thomas Pynchon. Darin zeichnen deutsche V2-Raketen die Flugbahn einer Parabel nach und landen am Ende am Boden - das soll den Investoren jedoch nicht passieren und Raketen wollten wir ja meiden.

Von den Besten lernen

Mit nicht weniger als den „besten Aktien der Welt“ befasst sich Focus Money in der aktuellen Ausgabe und verspricht ein „ganzes Heft mit den Top-Werten“. Nachhaltigkeit, Halbleiter, 5G, sind einige dieser Werte, die näher vorgestellt werden. Außerdem erfahren wir einiges über die unterschiedlichen Verfahren, einen Impfstoff gegen den Sars-Covid-2-Erreger zu entwickeln und welche Unternehmen damit jeweils betraut sind. Als revolutionär wird der auf Basis von mRNA entwickelte Impfstoff von Biontech beschrieben, das daraufhin ein „Kursfeuerwerk“ abgebrannt habe – auch dieses Wort, siehe oben, wollten wir vermeiden. Außerdem gab es im Heft etwas für den Neidfaktor: Die reichsten Menschen der Forbes-Liste, aktualisiert auf den Stand Anfang Dezember: An der Spitze Jeff Bezos mit Amazon, gefolgt von Bernard Arnault mit LVMH und Elon Musk mit Tesla. Deren Reichtum existiert zwar nicht nur auf dem Papier, ist aber gebunden an Papiere – Aktien des je eigenen Unternehmens. Also, einfach in diese Unternehmen investieren und reich werden, so die Schlussfolgerung der Redaktion.

Sitzen statt rennen

Capital, das auf auf dem Titel „Das Beste für ihr Geld verspricht“, stellt im „Invest-Teil“ „Zehn Regeln für Ihr Geld auf“. Regel drei erscheint uns für Anlagezeitschriften fast schon kontraproduktiv zu sein: „Bewertungen ignorieren“. Im Gegensatz zu Börse Online empfehlen die Capital-Redakteure „auf fallende Bitcoins wetten“, denn die Sicherheit sei trügerisch. Bebildert wurde der gesamte Anlageteil in Capital mit der Serie „Bank Run“ des Fotografen Reinier Gerritsen.  Er lichtete Menschen ab, die in Business-Kleidung an den Handelsplätzen New York, Tokio, London und Singapur von Termin zu Termin hetzen. Ein Gutes hat das Homeoffice also doch, bleibt uns dieses Gerenne zumindest erspart, wir rennen höchstens zur Kaffeemaschine.

Es gibt sie noch – die Deutsche Mark

Hätten Sie gewusst, wie viele DM noch im Umlauf sind? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung klärt uns auf: Laut Bundesbank sind bis dato Scheine und Münzen im Wert von 12,4 Milliarden Mark – oder eben 6,34 Mrd. Euro – immer noch nicht umgetauscht worden, nach jetzt 19 Jahren Euro. Aufhänger für den Artikel war ein junger Mann, der bei seinem kranken Onkel in Säcken und Tüten verpackt fast 3,5 Millionen Mark entdeckte, die dieser „vergessen“ hatte. Wer hätte nicht gerne einen solch „vergesslichen“ Onkel? Oder Tante? Wenn Sie tatsächlich fündig werden, es muss auch nicht bei Onkel oder Tante sein – Sie können DM noch immer bei der Bundesbank umtauschen, unbefristet und zum stets gleichen Wechselkurs von 1: 1,95583 DM.

Einszweidrei

Der Spiegel widmete sich einer Veröffentlichung des Hasso-Plattner-Instituts über die verbreitetsten „Passwörter“ der Deutschen. Auf dem ersten Platz, Sie ahnen es, rangiert „123456“! Wer soll da auch draufkommen? Auf dem dritten Rang liegt „passwort“, auch genial. Nicht deuten können wir Rang zwölf „michael“ und vierzehn „michelle“. Schlägt da der „Deutsche Michel“ durch? Ein Ausdruck, den wir für längst vergessen hielten und dessen Ursprung bis heute nicht restlos geklärt ist. Die früheste Darstellung kennen wir aus dem von Sebastian Franck 1541 herausgegebenen Sprichwörterbuch – da gilt der Michel als Dummkopf, was wiederum zum Gebrauch der beliebtesten Passwörter passen würde!
 
Und weil wir kurz vor den Weihnachtstagen sind – Franck schrieb auch ein Büchlein „Von dem grewlichen laster der Trunckenheit“, in dem er vor „füllerey, sauffen und zutrincken warnte und was für „jamer, unrath, Schaden der seel und des leibes“ daraus entstehe. Er warnte, aber er wusste, dass sich die Menschen nicht an seinen Rat halten würden. In diesem Sinne, genießen Sie das Weihnachtsmahl, auch im kleine Kreise, immerhin bleibt dann für jeden mehr zu trinken und essen übrig!