Norbert Betz / Bild: BBAG/Killius
Trotz der Corona-Pandemie und der Tatsache, dass die Sommermonate eigentlich schlechte Börsenmonate sind, scheinen Dax und Co. nur eine Richtung zu kennen: Stairway to Heaven. Aber kann das wirklich so weiter gehen oder bewegen wir uns auf eine gefährliche Überbewertung zu? Also doch eher die Auffahrt zum Highway to Hell?

Irrläufer an der Börse

Konstitutiv ist und bleibt, dass es für beide Lager genügend gute Argumente gibt. Der Corona-Schock bewirkt einen Digitalisierungsdruck und den Aufbau neuer Formen der effizienteren Zusammenarbeit. Eine Metamorphose der Wirtschaft im Schnelldurchlauf. Der Mehrwert wird bereits heute in den Kursen abdiskontiert. Andere sehen den Markt in der Katastrophenhausse. Die überbordenden Staats-Interventionen und die Zins- und Geld- Alchemie fahren die Marktwirtschaft, den Geldwert und den Wohlstand an die Wand. So sehen es die Skeptiker mit optimistischem Kursausblick, da die Flucht in Aktien und Sachwerte der letzte Zufluchtsort zur Sicherung der Vermögensstabilität seien. Die Skeptiker mit Crash-Gedanken bemühen eine ähnliche Argumentation. Sie sehen aber vor dem Boom im Zusammenbruch eine deflationäre Krise. Zahlreiche Unternehmens- und Bankpleiten, hohe Arbeitslosigkeit und die Zerrüttung der Staatshaushalte führen zu einer mehrjährigen Schrumpfung der Weltwirtschaft. Sie rechnen demnächst mit einem Absturz, der lange nachhält! Für jeden ist also etwas dabei.

Aktien-Tipps vom Boulevard

Ich bin kein Untergangsprophet und als leidenschaftlicher Börsianer wäre das auch kontraproduktiv. Hysterie und Panik haben an der Börse nichts zu suchen – was nicht bedeutet, dass es sie nicht gibt. Eine Blasenbildung setzt Gier und einen rational nicht mehr nachvollziehbaren Kaufrausch auch breiterer Anlegerschichten voraus. Plötzlich finden auch Medien, die sich ansonsten eher den Skandalen von Königshäusern oder dem Liebesleben von Containerbewohnern widmen, Gefallen an Aktien-Tipps. Unternehmen mit komplizierten Geschäftsmodellen und charismatischen Führungspersönlichkeiten werden von einschlägigen Magazinen hochgelobt und die Kurse von Anlegern nach oben getrieben. Kommt Ihnen das beim Lesen bekannt vor? Sind wir schon so weit? Ja, und nein.

Es gilt zu unterscheiden, ob es sich um ein manisches, von Gier und Irrationalismus geprägtes Investorenverhalten handelt, die sogenannte Dienstmädchenhausse – wobei wir froh sind, dass die neueste Dudenausgabe zwar viele Worte als ungebräuchlich gestrichen, das Dienstmädchen und den Dienstmann, obwohl beide zu den ausgestorbenen Berufen zählen dürften, aber beibehalten hat. Oder ob es sich einfach um eine Überbewertung weitgehend noch fairer Marktbewertungen dreht.

Wenn selbst lahme Enten spurten

In normalen Hausse-Phasen an der Börse gibt es immer Titel, die weniger gut laufen oder sich sogar im Minus bewegen. Doch wenn selbst solche  »Lame Ducks« plötzlich eine völlig unrealistische Performance aufweisen, dann ist allerhöchste Vorsicht geboten. Wenn die genannten Kriterien, man könnten noch eine IPO-Welle oder aber eine steigende Anzahl von Übernahmen nennen – zumindest teilweise zutreffen, dann ist der Markt fragil geworden und jetzt reichen auch kleinere Probleme oder Unsicherheitsfaktoren, um ihn nach unten zu reißen, und der nächste Crash ist da und es fehlen dann nur noch die Kommentatoren, die ihm einen Namen geben, damit er in unserem Gedächtnis bleibt. Schon Corona traf einen fragilen Markt, was kommt als Nächstes?

Blasenbildung nein – Vorsicht ja

Wie sieht es derzeit aus? Der Dax pendelt noch unter seinen Allzeithoch, doch er hat die 13.000er-Schwelle wieder mehrmals übertroffen. Der Markt will nach oben ist aber von einer hohen Verletzlichkeit geprägt. nach der Party kommt der Kater. Die Zyniker unter allen Börsenbeobachtern macht folgender Umstand am meisten Sorge. Viele neue Anleger, arm an Erfahrung aber umso reicher an Ambitionen, strömten in den letzten Wochen und Monaten mit neuem Geld an die Börsen. Sie erliegen dem Mythos der Unverletzlichkeit des Marktes und dass jeder Kursrückgang eine Kaufchance mit schnellstmöglicher Erholung sei. Dieses quasi Naturgesetz gilt jedoch nur unter langfristiger Perspektive. Dadurch lassen sich einige exzessive Kurssteigerungen in Modewerten oder auch die Verzerrung von Put/Call Verhältnissen an den Options-Märkten erklären. Von den alten Hasen kann sich aber niemand daran erinnern, dass es jemals gut gegangen wäre. 

Anzeichen im Auge behalten

Trotzdem, meiner Meinung nach ist bei den Aktienmärkten noch immer Luft nach oben. Auch wenn angesichts in vielen Branchen einbrechender Gewinne Kennziffern wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis nach oben schnellen wird. Der wichtigste Grund dafür, dass Aktien auch noch eine gute Weile weiterlaufen dürften, ist schlicht Tina! „There Is No Alternative“ für Investoren. Angesicht der wieder gigantisch auflaufenden Schuldenberge aufgrund der mehr oder weniger hilflosen Corona-Hilfsmaßnahmen werden die Zinsen bei null eingefroren, oder sogar noch unter null gedrückt. Geld ist da, die Notenbanken werfen es auf den Markt, und es muss irgendwo hin, um sich zu vermehren. In der derzeitigen Situation bieten Aktien – neben Rohstoffen, Edelmetallen und vielleicht Immobilien – die einzige ernsthafte Alternative, um keinen realen Vermögensverlust hinnehmen zu müssen. Aber, achten Sie auf die Zeichen und erinnern Sie sich an die Tatsache, dass man Blasen nicht vermeiden kann, man kann nur verhindern, von ihrem Platzen allzu schwer getroffen zu werden.
Dieser Artikel erschien zuerst im Nebenwerte-Journal
Norbert Betz ist Leiter der Handeslüberwachung der Börse München. Dort tätig seit über 20 Jahren und leidenschaftlicher Börsianer seit seiner Jugend. Er ist Verfasser des Buches: Psychofallen an der Börse. Wie wir sie erkennen und vermeiden.