Bild: Getty/Hannele Lahti
Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt, singt sich schon Pippi Langstrumpf die Welt so, wie sie sie haben will. Wir machen es in der Regel umgekehrt: wir nehmen die Welt wie sie ist und richten uns darin häuslich ein. Denn mit dem Strom zu schwimmen erleichtert das Leben ungemein. Über Jahrtausende lang war konformes Handeln im Kreise Gleichgesinnter sogar überlebensnotwendig. Einzelgänger kamen um, Ötzi lässt grüßen. Auch heute gehen wir, wenn wir nicht ausgesprochene Misanthropen sind, Streitereien und Unstimmigkeiten lieber aus dem Weg als dass wir sie vom Zaun brechen.
 
Noch viel weniger mögen wir es, mit uns selbst im Clinch zu liegen. Aber: jede Entscheidung, die wir für etwas treffen, bedeutet gleichzeitig eine Entscheidung gegen etwas. Gehe ich ins Freibad oder ins Kino, kaufe ich ein Auto oder mache ich eine Reise, kaufe ich ein praktisches oder ein sportliches, ein rotes oder ein blaues, ein neues oder ein gebrauchtes Auto, einen Diesel oder ein Elektrofahrzeug, fahre ich dorthin oder hierhin – entscheiden bedeutet per se, dass wir etwas auswählen und dafür anderes lassen. Nicht zuletzt kommt „entscheiden“ von scheiden wie trennen.

Wir sollten ein Wertpapier nicht heiraten

Wenn wir uns dann aber einmal entschieden haben (für etwas und gegen etwas), dann hängen wir mit Leib und Seele daran – und ein wenig auch mit dem Verstand. Übersetzt auf ein Aktieninvestment heißt das, wir tun uns lange schwer, eine ganz bestimmte Aktie auszuwählen und viele attraktive Alternativen links liegenzulassen. Haben wir dann aber ein Papier gewählt, dann halten wir an einer solchen Aktie auch emotional fest, wir stehen quasi hinter und zu ihr. In guten wie – leider – auch in schlechten Zeiten. Wir sollten ein Wertpapier aber nicht heiraten, Nibelungentreue ist nicht erfolgversprechend, sondern es sollte seinen Zweck für uns erfüllen, und der heißt nicht ewige Bindung sondern bestmögliche Rendite.
 
Leider klammern wir aber – und da ist es tatsächlich ähnlich wie in der Liebe – alle negativen Meldungen rund um unser Wertpapier aus, wir betrachten es durch einen Harmonie-Spiegel. Wir suchen nach Ankern, die unsere Meinung unterstützen. Gekonnt filtern wir alle Informationen aus, die nicht in unser Schema passen. Lässt sich die Aufnahme schlechter Informationen partout nicht vermeiden, deuten wir sie kurzerhand zu unseren Gunsten um. Wir vermeiden damit jegliche Dissonanz und sonnen uns in Harmonie. Uns geht es richtig gut dabei – leider spielt das Depot da aber oft nicht mit.

Und die Lehre aus der Geschicht'?

Welche Lehren sollen wir nun ziehen? Jede Entscheidung führt zum Verlust unserer Neutralität. Wir halten deshalb zu lange an unseren Engagements fest, auch wenn sich die objektive Faktenlage deutlich verschlechtert. Nicht konform mit unserer Harmoniesucht geht auch die Tatsache, dass wir anerkennen, einen Fehler gemacht zu haben, und unsere Verlustbringer über Bord werfen. Solange es nur „Buchverluste“ sind, sehen wir darüber hinweg, würden wir die Papiere aber verkaufen, müssten wir tatsächlich Verluste erst eingestehen und realisieren. Das stört unser Selbstwertgefühl als versierte Anleger aber gewaltig. Die Hoffnung stirbt zuletzt, also hoffen wir immer weiter.
 
Doch wie lange müssen Sie bei Wertpapieren oftmals warten, bis Sie nur wieder bei einer „Null“ herauskommen? Und wie viel Gewinne hätten Sie im gleichen Zeitraum einfahren können, wenn Sie sich von Verlustbringern frühzeitig getrennt und in zukunftsträchtigere Werte investiert hätten? Also, handeln an der Börse heißt zwangsläufig, Verluste zu akzeptieren. Die Lehre aus der Harmoniesucht? Zu lange an falschen Entscheidungen festhalten, bedeutet, anderweitig Chancen auslassen. Vielleicht erklärt ein einfaches Rechenbeispiel, wie schwierig es ist, Verluste durch Gewinne auszugleichen:
  • Ein Verlust von 50 Prozent muss mit einer Steigerung von 100 Prozent ausgeglichen werden!
  • Ein Verlust von 75 Prozent muss mit einer Steigerung von 300 Prozent ausgeglichen werden!
  • Ein Verlust von 95 Prozent muss mit einer Steigerung von 1.900 Prozent ausgeglichen werden!

 

Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent und Autor. In seiner Serie zeigt er die Fallen auf, in die wir Anleger so gerne hineintappen, und gibt Tipps, wie sie vermieden werden können.
Nachzulesen auch in Norbert Betz, Ulrich Kirstein:»Börsenpsychologie simplified«, 2. Auflage 2015
Das Buch befasst sich auf knapp 200 Seiten mit der Psychologie der Märkte und zeigt Anlegern an vielen Beispielen aus Theorie und Praxis, wie sie STUSS erkennen und vermeiden sowie mit dem STAR-Konzept zum Erfolg kommen können.