Trommeln für die Aktie - Das Börsenbuch

Eine Rezension von Ulrich Kirstein
Bild: Cover-Ausschnitt / Börsenverlag Rosenheim
»Nach der Baisse ist vor der Hausse« nennt Thomas Müller sein Lebensmotto und dass der leidenschaftliche Börsianer zum Lager der Optimisten zählt, beweist er auch in seinem neuesten Buch. Immerhin pflegen er und sein Co-Autor Alexandar Coels die »Börsenvision« , dass der Dax im Jahr 2039 die 100.000 Punkte kreuzen dürfte. In Zeiten, wo der Dax einfach nicht dauerhaft über die 10.000er Marke springen will, liest man das nicht ungern, auch wenn dem einen oder anderen das Wort des Altkanzlers Helmut Schmidt, 'wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen', in den Sinn kommen könnte.

Besser werden an der Börse

Beide Autoren geben das Versprechen ab, dass mit Hilfe dieses Buches sich die Ergebnisse der Leser an der Börse auf jeden Fall verbessern werden. Das ist mutig, der Rezensent würde sich das so nicht (zu)trauen – zu unvorhersehbar sind die Entwicklungen an der Börse und – nicht zuletzt – die tatsächlichen Reaktionen der Anleger. Aber das ist ein Grundprinzip: die einen glauben, die Menschen zum besseren Handeln belehren zu können, die anderen denken, dass jeder am besten und nachhaltigsten aus seinen eigenen Fehlern lernt – und dazu muss er sie erst einmal machen.

Die Zyklen an der Börse

Das Credo der beiden Autoren heißt: Die Geschichte an den Kapitalmärkten wiederholt sich immer wieder, weil sie von den immer gleichen menschlichen Grundverhaltensweisen dominiert werden: Hoffnung, Gier, Angst und Panik. Fleißig, akribisch und mit sehr vielen Tabellen und Charts überaus anschaulich untermauern sie so im über 300 Seiten schweren Hauptteil des 500-Seiten-Buches ihren Glauben an den Zyklencharakter an den Börsen. Weil alles im Leben eines Menschen, Unternehmens, Produkts in Zyklen abläuft, wir auch von Konjunkturzyklen ausgehen, beherrschen Zyklen auch die Börse, so die Grundannahme. So kristallisieren sie Bullen- und Bärenmärkte und die besten Börsenmonate, -tage und -zeiten auf der Grundlage einer Fülle von Daten aus der Vergangenheit heraus.

Gesunder Menschenverstand bleibt notwendig

Die Basis einer solchen Betrachtungsweise wurde schon um 1900 von der Börsenlegende Charles Dow entwickelt, der die Kursverläufe aus der Vergangenheit in die Zukunft anhand von Charts extrapolierte. Und für heutige Anleger schwer vorstellbar war es vor noch gar nicht ganz so langer Zeit ausgesprochen schwierig, überhaupt an Kurs-Charts heranzukommen – was heute jede bessere Finanzwebseite mit Kursen in Echtzeit bietet. Immerhin liegt allen Chart-Liebhabern jetzt quasi ein Nachschlagewerk in Papierform vor, das sie für Einzelentscheidungen zu Rate ziehen können.
 
Heute gibt es eigene saisonale Strategieindizes, nach denen Anleger handeln können und hier liegt auch ein Problem einer solchen zyklischen Herangehensweise: Strategien, die quasi zum Allgemeingut an der Börse geworden sind, fordern diese geradezu heraus, anders als geplant zu reagieren. Außerdem gibt es meist nicht nur einen einzigen Zyklus, sondern je nach Land, Branche, Unternehmensgröße können sich Verzerrungen und Überlagerungen ergeben. Insofern ist hier, wie immer an der Börse, Vorsicht und gesunder Menschenverstand zu empfehlen. Und ganz besonders auch beim Einsatz von gehebelten Derivaten, die für Privatanleger nur schwer beherrschbar sind und eigentlich nur zur Absicherung dienen sollten. Generell 10 Prozent des Portfolios, wie von den Autoren in ihren »Zyklenportfolios« empfohlen, in diese Anlageklasse zu stecken, erscheint zumindest ambitioniert.

Börse leben...

Beide Autoren  »leben« Börse, ihr Wissen ist das Wissen von absoluten Insidern, die seit Jahrzehnten von und für die Börse arbeiten. Stringent und nachvollziehbar belegen sie, dass sich vor allem ein langfristiges Engagement in Aktien zum Vermögensaufbau lohnt. Dafür kann man nicht oft genug trommeln, schade, dass diejenigen, die zu diesem Buch greifen, die Wahl für oder gegen Aktien aller Wahrscheinlichkeit längst positiv entschieden haben und damit weiterhin einer Minderheit angehören. Aber das ist die Crux aller Börsenbücher: Auch Wanderführer werden überzeugte Stubenhocker kaum zum Wandern animieren können.