Themaverfehlung - die Presseschau am Freitag

Ulrich Kirstein
Ulrich Kirstein / Bild: BBAG/Killius
Auf das aktuelle Thema schlechthin, die Wahlen in Großbritannien und den Sieg von Boris Johnson, konnten die Printmedien noch nicht reagieren. Insofern wird uns die Reaktion in der kommenden Woche beschäftigen und wir haben somit Zeit, die Nachricht zu verdauen und unsere Vorurteile zu hinterfragen.

Ein Etikettenschwindel

Große Aufmerksamkeit in der Wirtschaftspresse erzielte in der ersten Wochenhälfte die Verlautbarung – oder Androhung – von Finanzminister Olaf Scholz, die Aktienumsatzsteuer nun baldmöglichst einzuführen. Unabhängig davon, ob dies überhaupt so klappt, wie der Vizekanzler es sich vorstellt, war die Fachpresse unisono der Meinung, dass die Steuer in der geplanten Ausrichtung ein falsches Signal sende. Wäre das Papier von Olaf Scholz eine Deutschschulaufgabe gewesen, hätte der Lehrer „Themaverfehlung Note 6“ darauf geschrieben, so können die vielschichtigen Stimmen interpretiert werden. Denn von den ursprünglichen Zielen, die Finanzbranche an den Kosten der Krise zu beteiligen und wilde Spekulation oder den Sekundenhandel zu verhindern, ist die Abgabe auf Aktien meilenweit entfernt. Zitat Jan Hildebrand im Handelsblatt vom 11. Dezember: „Diese Aktienabgabe noch als Finanztransaktionssteuer zu vermarkten ist vor allem eines: ein Etikettenschwindel.“

Auto oder Tiefkühlpizza

Börse online befasst sich im aktuellen Branchenreport mit Haushaltswaren, weil „zur Weihnachtszeit der Run auf die Produkte besonders groß“ sei. Ehrlich, wenn man seiner Frau oder Freundin ein langes Gesicht unter den Weihnachtsbaum zaubern möchte, dann schenkt man ihr Haushaltswaren! Die Titelstory hat Börse online dafür dem "Gesetz der Stärke" gewidmet und hatte damit nicht den Weihnachtsmann im Sinn sondern die Momentumstrategie. Und brachte ein griffiges Beispiel: Hätte man 1949 einen Dollar in die jeweils 10 Prozent der stärksten Renditebringer gesetzt, hätte man damit über 50.000 US-Dollar erwirtschaftet. Mit risikolosem Zins wären es etwas mehr als 15 Euro geworden – am Ende also schickes Auto oder doch bloß eineTiefkühlpizza.

Wahrheit über Wahrheit

In Focus Money gibt es ein ausführliches und durchaus erhellendes Interview mit dem Starvolkswirt Hans-Werner Sinn zu lesen. In Bezug auf sein jüngst veröffentlichtes Buch „Auf der Suche nach der Wahrheit“ ist es mit „Die unbequeme Wahrheit“ überschrieben. Und da hält Professor Sinn so einige Wahrheiten für den Leser bereit, zum Beispiel, dass ein Verzicht Europas auf Öl eher dazu führen würde, dass weltweit mehr Öl verbraucht und verbrannt wird als weniger. Warum? Einfach nachlesen.

Viele Steine umdrehen

Es gibt nichts Neues, aber das ganz anders, so lautete der Tenor auf die erste EZB-Sitzung von Christine Lagarde. So schrieb Inken Schönauer in der FAZ: „Lagarde versteht schon jetzt, Signale zu setzen. Signale des Verstehens und des Willens zur Veränderung“. Gleichzeitig schrieb er aber auch, dass sich bei der Zinspolitik nichts ändern wird. Bevor wir ein Signal des Missverstehens setzen, erfahren wir aber, dass Lagarde die aktuelle Strategie der EZB immerhin überprüfen lassen will. Diese Prüfung dauert dann über das ganze Jahr 2020. Wörtlich will Lagarde „jeden Stein umdrehen“, was uns angesichts des imposanten Neubaus der EZB in Frankfurt als zumindest anspruchsvoll erscheint.