Bayerische Werte - Eine Wirtschaftsgeschichte in Wertpapieren

Ulrich Kirstein
Begleitband zur Ausstellung in der IHK für München und Oberbayern/ Ausschnitt
Wer bei "Bayerische Werte" zuerst an Lederhosen, Weißwürste und Brezn denkt, liegt vielleicht nicht falsch, blickt aber zumindest eindimensional auf den Freistaat. Denn Bayern, das ist auch BMW, Siemens und die Allianz, um es einmal auf den Punkt zu bringen. Der Aufstieg Bayerns vom Agrarstaat zum Industrie- und Dienstleistungsland ging einher mit einer Aufholjagd beim Bruttosozialprodukt, das noch bis 1984 unter dem deutschlandweiten Durchschnitt lag. Heute zählt Bayern zu den wenigen Geberländern im innerdeutschen Länderfinanzausgleich und schneidet nicht nur beim BIP überdurchschnittlich ab. Zu verdanken hat der Freistaat dies vor allem seinen Unternehmern und Unternehmen, die für ihre Innovationen und Expansion bereits früh den Kapitalmarkt in Form von Anleihen und Aktien anzapften. Dies macht die gegenwärtige Ausstellung in der IHK für München und Oberbayern im wahrsten Sinne des Wortes augenscheinlich, die aus dem reichen Fundus der umfassenden Wertpapiersammlung von Uto Baader, dem Gründer der Baader Bank, schöpft und damit das 25jährige Jubiläum des Bayerischen Wirtschaftsarchivs feiert.

Wertpapiere im Sinne des Wortes

Bei der feierlichen Ausstellungseröffnung im überdachten Innenhof des neu und schön renovierten IHK-Gebäudes sprachen der Wirtschaftsminister a. D. Otto Wiesheu als damaliger Initiator des Bayerischen Wirtschaftsarchivs und IHK-Präsident Eberhard Sasse, denn das bayerische Wirtschaftsarchiv ist unter dem Dach der bayerischen IHKs vereint. Beide lobten das Archiv und sein Team um Leiterin Eva Moser für seine unermüdliche Arbeit, kostbare Archivalien aus bayerischen Firmen zu retten. Eine oftmals mühsame Angelegenheit, die Stücke aus verstaubten Speichern und düsteren Kellern zu bergen. Einfacher war da die Übernahme der mehr als 4.500 Wertpapiere, die Uto Baader dem Archiv als Leihgabe zur Verfügung stellte. Und diese Wertpapiere sind im wahrsten Sinne des Wortes wertvolle Papiere, heute nicht mehr, weil sie Anlass für Zinsen und Dividenden geben, sondern weil sie kleine Kunstwerke sind, die nicht nur den jeweiligen Zeitgeist widerspiegeln sondern auch die Geschichte von teilweise längst untergangenen Firmen und Branchen erzählen. Anlass für die Süddeutsche Zeitung über die Ausstellung zu titeln: "Die schönsten Seiten des Kapitalismus".

Von der Keilschrift bis Napoleon

Dass diese Aktien und Anleihen nicht nur Geschichten sondern auch Geschichte erzählen können, machte dann Uto Baader als ihr Erzähler wahr: Er spann dabei einen weiten Bogen von der Erfindung der Schrift bis zur komplizierten Gründungsgeschichte der Firma Siemens. Bedeutend für die Historie der Aktie war aber die Niedeländische Ostindien Kompagnie. Im März 1602 gegründet und auf zehn Jahre ausgerichtet - so lange mussten die Aktionäre, die damals noch Participanten hießen, ihre Anteile halten - , um Schiffe auszurüsten für die teure und gefährliche Fahrt nach Ostindien. Die eingefahrenen Gewinne wurden dann unter den Participanten verteilt - dividiert, die heutige Dividende leitet sich daraus ab. Dann machte Uto Baader einen Sprung in die Napoleonische Ära und erinnerte daran, dass der Kaiser und Feldherr aufgrund der vielen Kriege ständig klamm war und die Börse als wichtigen Teil erachtete, um sich zu finanzieren. So lassen sich einige europäische Börsengründungen auf ihn zurückführen, wie etwa Brüssel und Mailand. Die Mailänder Börse schenkte er sogar seinem Stief- und Adoptivsohn Eugen Beauharnais, der es bis zum Vizekönig Italiens brachte und schließlich als Herzog von Leuchtenberg - er hatte eine Tochter König Max I. Josephs geheiratet - in München starb. Sein eindrucksvolles Grab kann in St. Michael besichtigt werden. Und noch eine Anmerkung: Sein von Leo von Klenze errichtetes Palais Leuchtenberg dient heute dem bayerischen Finanzministerium als Sitz. 
 
Doch zurück zur fein gestalteten Ausstellung, in der einige Aktien und Anleihen aus napoleonischer Zeit zu sehen sind, wie zum Beispiel die "Actie" der noch immer existierenden Bürger-Ressource-Gesellschaft aus Hof an der Saale. Die Bürger wollten damals über die Aktie den Bau ihres Vereinsgebäudes finanzieren. Sie gilt mit dem Datum 1804 als älteste bayerische Aktie. Einen Pferdestall wollten die Bürger von Neustadt an der Aisch errichten, um die dortige Garnison an die Stadt zu binden, die erst 1810 von Preußen an Bayern gefallen war. So gaben sie 1834 eine Aktie der Stallbaugesellschaft heraus, eine der ersten tatsächlichen Aktiengesellschaften Bayerns. Eine Art Vorläufer von BMW war die "Anstalt zur Beförderung der vaterländischen Pferdezucht" des Industrie- und Kulturvereins zu Nürnberg. Der Verein wollte mit dieser Anstalt den Mangel an Arbeits-, Reit- und Militärpferden beheben, also die Mobilität in Bayern fördern.

Boom-Zeit von Aktiengesellschaften

Die zweite Gründungswelle für Aktiengesellschaften, so Uto Baader, war die Industrialisierung Bayerns in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Angestoßen wurde sie durch den Eisenbahnbau, schließlich verkehrte die erste Eisenbahnstrecke des Deutschen Reichs zwischen Nürnberg und Hof im Jahr 1834. Der bayerische König Ludwig I. beteiligte sich zwar als Klein-Aktionär, aber der bayerische Staat hätte bei weitem nicht ausreichend Kapital aufbringen können. Und die Aktionäre wurden belohnt, schon im ersten Jahr konnten Gewinne eingefahren werden. Weil die Aktien auch als Gratisfahrschein galten, mussten sie neu ausgegeben werden, der Verschleiß war hoch. Weitere Strecken sollten folgen und ihr Streckenbau wurde ganz überwiegend durch die Gründung eigener Aktiengesellschaften forciert.
 
Apropos Kapital, es war auch die Zeit der großen Bankhäuser, der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank beispielsweise, deren Gründungsaktie allerdings nicht einmal Uto Baader und seine Sammlerkollegen habhaft werden konnten. Energieunternehmen wie das Walchenseekraftwerk und Infrastruktur wie der Donau-Main-Kanal kamen hinzu - die Anleihe für letzteren war sogar dreisprachig gehalten, um eine internationale Investorenschar anzusprechen. Mit Erfindung der teuren Kühltechnik durch von Linde wandelten sich immer mehr Brauereien in AGs um, um die Maschinen zu finanzieren und damit ganzjährig brauen zu können, ohne mehr auf das Eis in ihren Eiskellern unterhalb Münchens angewiesen zu sein. Hinzu kamen auf den Erfindergeist von Unternehmerpersönlichkeiten sprießende Maschinenbaufirmen wie Grundig, Koenig und Bauer, Friedrich Deckel AG und Siemens Schuckertwerke , die sich dann selbstbewusst auf ihren Aktien- und Anteilsscheinen präsentierten.
Auch eine Aktie übe 1.000 Mark der Porzellanfabrik PH. Rosenthal & Co. zeigt die Ausstellung. Philipp Rosenthal (1855 - 1937) hatte sie 1891 in Selb gegründet und 1897 an die Börse gebracht. Mit 1.500 Aktien zu 1.000 Euro flossen dem Unternehmen 1,5 Mio. Mark zu. 1934 musste sich der Gründer zwecks Arisierung aus dem Unternehmen zurückziehen. 1950 kehrte der Sohn aus dem Exil zurück und übernahm wieder die Firmenleitung. Das Unternehmen glänzte mit neuem Produktdesign und Designern wie Luigi Colani und selbst Walter Gropius. 1997 ging Rosenthal in dem britisch-irischen Waterford Wedgwood-Konzern auf und übernahm im Jahr 2000 die Firma Hutschenreuther. In der um 1900 erbauten Stadtvilla der Familie Hutschenreuther am Karolinenplatz in München hat heute die Börse München ihren Sitz. Waterford allerdings musste Insolvenz anmelden, heute ist Rosenthal ein, allerdings weitgehend eigenständiger, Bereich des italienischen Sambonet-Paderno Konzerns.
So könne man von Aktie zu Aktie und Branche zu Branche eilen und von Geschichte zu Geschichte, doch sei hier auf die Ausstellung im Foyer der IHK verwiesen und den sehr anschaulichen Begleitband. Zu besichtigen noch bis zum 5. November, selbstverständlich bei freiem Eintritt. Mehr Informationen gibt es auf der Website der IHK, einfach hier klicken. Er wünsche der Ausstellung viele Besucher, damit sie erkennen, wodurch der Wohlstand nach Bayern kam, schloss Uto Baader seine Ausführungen. Dem ist nichts hinzuzufügen.