Wer übertrumpft wen? Nach den Zinsentscheiden

Dr. Johannes Meyer, Elliot Hentov, Dr. Junius Kasten und Mark Dowding
Bild: EZB und Fed
Die Europäische Notenbank EZB hat ihren Zins um 50 Basispunkte erhöht, die US-Zentralbank Fed ihren einen Tag zuvor bereits um 25 Basispunkte angehoben. Hier die Stimmen einiger ausgewählter Volkswirte über die Lage und ihre Ansichten über die nähere Zukunft an der Zinsfront.

EZB: Entschlossen, aber nicht mehr voll überzeugend

Dr. Johannes Meyer, Eyb & Wallwitz
Auf ihrer heutigen Sitzung hat die EZB ihre Leitzinsen um weitere 50 Basispunkte angehoben. Der Einlagensatz liegt mit 2,5 Prozent nun im restriktiven Bereich. Überraschend deutlich hat die EZB einen solchen Schritt auch für die März-Sitzung angekündigt und auch darüber hinaus weitere Zinsschritte in Aussicht gestellt. Die EZB sieht den Zinsgipfel also weiterhin in größerer Entfernung als die FED. Analog zur FED signalisiert die EZB nach Erreichen des Gipfels eine längere Phase mit unverändert hohem Zins. Dabei scheint ihr der Markt derzeit zwar noch eher zu glauben als der FED, Zinssenkungen werden für 2023 weiterhin nicht erwartet. Die Zweifel nehmen aber zu. Der Lackmustest für die Entschlossenheit steht in den kommenden Monaten an, wenn sich die konjunkturellen Folgen der Straffungen voll zeigen werden. Wir gehen davon aus, dass die EZB die Leitzinsen noch bis Jahresmitte anheben wird, im Bereich von 3,5 % dürfte der Hochpunkt erreicht sein.
Aussichten für Anleger
Angesichts schwächerer Konjunkturdaten verlieren die Märkte zunehmend den Glauben an die Zinspläne der Notenbanken. Die starke Datenabhängigkeit ihrer Entscheidungen kann in zyklischen Wendepunkten mit volatilen Wirtschaftsdaten zum Problem werden. Nach der FED hat deshalb auch die EZB heute versucht, diese Datenabhängigkeit wieder zu relativieren und weitere Zinsschritte ungewöhnlich konkret angekündigt. Die EZB riskiert damit erneut ein Glaubwürdigkeitsproblem. Investoren sollten aber vorsichtig sein, aktiv gegen die Notenbanken zu wetten. Dies ist nur bei entsprechend schwachen Wirtschaftsdaten erfolgversprechend. Frei übersetzt gilt ansonsten weiterhin: „Leg Dich nicht mit den Notenbanken an.“

Gute Arbeit - Aber weitere Wunder sind unwahrscheinlich

Elliot Hentov, State Street Global Advisors
Gute Arbeit heute, das heisst eine Zinserhöhung, wie sie von den Märkten erwartet wurde. Die nächste Sitzung könnte ebenso ausfallen, da eine weitere Anhebung um 50 Basispunkte deutlich signalisiert und entsprechend eingepreist wurde. Aber darüber hinaus wird es wahrscheinlich wieder ein politisches Rätsel geben. Die Wirtschaft der Eurozone mag dank rigoroser Energieeinsparungen, umsichtiger Energiespeicherung und göttlicher Unterstützung in Form eines milden Winters ein "annus horribilis" vermieden haben. Weitere Wunder sind unwahrscheinlich, und selbst eine leichte Konjunkturabschwächung wird den politischen Kurs der EZB erschweren.
 
Wie viel kann eine Zentralbank in einer stagnierenden Wirtschaft noch anheben, nachdem sie den schnellsten Straffungszyklus der Geschichte eingeleitet hat? Insgesamt sind nicht mehr als weitere 100 Basispunkte möglich, bevor die Geldpolitik als Hemmschuh für die wirtschaftliche Erholung angesehen wird. Hinzu kommt, dass die EZB ihre Bilanz schrumpfen lässt, was sich unverhältnismäßig stärker auf die Kreditbedingungen in Europa auswirkt als in den USA. Die Politik wird also im Frühjahr zum Stillstand kommen... aber das ist noch weit davon entfernt, eine baldige Kehrtwende zu erwarten.

Die EZB übertrumpft die Fed

Dr. Junius Kasten, Bank J. Safra Sarasin
Federal Reserve: Trotz ihrer Zinserhöhung um 25 Basispunkte wächst die Erwartung, dass die Fed eine Pause im Zinserhöhungszyklus einlegen wird. Die Renditen von Staatsanleihen sinken immer schneller, da sich die Anleger auf einen eventuellen Schwenk der Fed einstellen. Die Risikomärkte hingegen werden durch niedrigere implizite Leitzinsen und die Erwartung einer sanften Landung der Fed beflügelt. Wir glauben, dass dies nur sehr schwer zu erreichen sein wird. Tatsächlich haben umfangreiche Straffungszyklen wie der derzeitige in der Vergangenheit zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit und zu einer Rezession geführt.

Europäische Zentralbank: Die EZB hob die Leitzinsen um 50 Basispunkte an und kündigte eine weitere Anhebung um 50 Basispunkte im März an, um "ausreichend restriktiv zu sein, um eine rechtzeitige Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen Ziel von 2 Prozent zu gewährleisten". Die EZB veröffentlichte auch die detaillierten Modalitäten, wie sie ihre Bilanz um 15 Mrd. Euro pro Monat reduzieren will. Die Reinvestitionen werden proportional zum Anteil der Tilgungen im Rahmen ihres Programms zum Ankauf von Staatsanleihen erfolgen und über einen längeren Zeitraum verteilt werden, um eine regelmäßige und ausgewogene Marktpräsenz zu gewährleisten. Schließlich beschloss die EZB, ihr Kaufprogramm für Unternehmensanleihen auf Emittenten mit einer besseren Klimabilanz auszurichten.

US-Aktien: Die erste Hälfte der US-Gewinnsaison für das vierte Quartal verlief bisher enttäuschend. Nur 53 Prozent der Unternehmen konnten die Gewinnerwartungen übertreffen. Dies spiegelt den zunehmenden Druck auf die Nettogewinnmargen wider, die bis zum Ende der Saison auf unter 12 Prozent sinken werden, das ist die niedrigste S&P500-Marge seit dem 4. Quartal 2020. Dieser Druck wird sich fortsetzen und könnte durch die Zurückhaltung der US-Unternehmen beim Personalabbau noch verschärft werden. Wir gehen davon aus, dass die negative Gewinndynamik anhalten wird, und erwarten, dass der 12-Monats-Konsens für das EPS des S&P 500 von derzeit 225 USD auf unter 220 USD fallen wird.

Keine weitere Rallye bei US-Staatsanleihen

Mark Dowding, Blue Bay Seet Management
Im Anschluss an die Sitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank Federal Reserve in dieser Woche gingen die Renditen von US-Staatsanleihen zurück, während sich Risikoanlagen robust entwickelten. Im Großen und Ganzen hat sich die Botschaft von Fed-Chef Jerome Powell nicht wirklich geändert. Die Währungshüter signalisieren nach wie vor, dass im März und Mai mit zwei weiteren Zinserhöhungen um jeweils 25 Basispunkte zu rechnen ist, so dass der effektive Leitzins knapp über 5 Prozent liegen wird. Danach scheint die Fed derzeit entschlossen zu sein, die Zinssätze für einen längeren Zeitraum auf diesem Niveau zu halten.

Powell schien jedoch die Tür für einen weniger restriktiven Kurs zu öffnen, falls die Inflation niedriger ausfallen sollte als von der Notenbank erwartet. Allerdings arbeitet die Zentralbank datenabhängig. Daher besteht die Möglichkeit, dass sich die Meinung bis zur März-Sitzung wesentlich ändert. Denn bis dahin sollen noch zwei Arbeitsmarktberichte und zweimal Daten zur Inflation veröffentlicht werden.

Vor diesem Hintergrund wird auch der heutige US-Arbeitsmarktbericht von Interesse sein. Im Allgemeinen sind die Daten vom Arbeitsmarkt nach wie vor gesund. Sowohl die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe als auch die Jolts-Daten (Job Openings and Labor Turnover Survey) deuten auf einen soliden Bericht hin – ungeachtet der Nachrichten über Stellenabbau in Bereichen wie der Technologiebranche. Aktuell neigen wir zu der Annahme, dass die Fed ihren Zinspfad in den kommenden Monaten nicht ändern wird.

Ein plötzlicher Wachstumseinbruch scheint derzeit unwahrscheinlich. Die Kreditkartenausgaben scheinen sich im vergangenen Monat erholt zu haben. Dass sich die finanziellen Bedingungen weiter entspannen, dürfte sowohl die Stimmung der Unternehmen als auch der Verbraucher stützen.

Vor diesem Hintergrund sind wir weiterhin der Meinung, dass es bei US-Staatsanleihen keinen Spielraum für eine weitere Rallye gibt und halten an einer Short-Position fest.

In Europa hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen erhöht – und zwar im Einklang mit den Markterwartungen um 50 Basispunkte. Es wird mit einer weiteren geldpolitischen Straffung gerechnet: Die Befürworter einer restriktiveren Geldpolitik im EZB-Rat werden bei der nächsten Sitzung der EZB auf weitere 50 Basispunkte drängen. Daher dürften die Zinssätze im Frühjahr über 3,5 Prozent liegen.

In dieser Hinsicht holt die EZB gegenüber der Fed auf. Da viele Beobachter davon ausgehen, dass die Eurozone bei gleichzeitig höheren Inflationsraten 2023 stärker wachsen wird als die USA, ist es verständlich, dass EZB-Chefin Christine Lagarde vorerst bei ihrer restriktiven Haltung bleibt. Bei Euro-Anleihen rechnen wir ebenfalls mit steigenden Renditen.

Mit Blick auf die Zukunft werden die Daten entscheidend sein. Die Straffung der Geldpolitik wirkt mit Verzögerung. Daher erwarten wir, dass sich das Wachstum im Jahresverlauf weltweit verlangsamen wird. Kurzfristig könnte die sich aufhellende Stimmung jedoch dazu führen, dass sich die höheren Zinssätze – abgesehen von bestimmten zinssensiblen Sektoren – relativ wenig auf die Wirtschaft auswirken. Bleibt die Konjunktur jedoch vorerst positiv, werden sich die Zentralbanken unseres Erachtens davor hüten, weniger restriktive geldpolitische Signale zu senden – so sehr der Markt auch darauf drängen mag.
Dr. Johannes Meyer ist Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz Vermögensberatung, Elliot Hentov ist Leiter des Macro Policy Research bei State Street Global Advisors, Dr. Junius Karsten ist Chefvolkswirt bei der Bank J. Safra Sarasin und Mark Dowding Chief Investment Officer bei BlueBay, RBC BlueBay Asset Management.

Im Artikel erwähnte Wertpapiere

UC S&P 500 N.A. N.A.
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