Abhängigkeit von China: Risiken benötigen mehr und nicht weniger Vernetzung

Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank AG
Dr. Klaus Bauknecht / Bild: IKB Deutsche Industriebank AG
Fazit: Größe und Wachstumsdynamik Chinas werden aufgrund der Abhängigkeit der deutschen und der globalen Wirtschaft von China zunehmend mit Sorge betrachtet. Doch die Abhängigkeiten bestehen gegenseitig, da Chinas Integration in die globale Wirtschaft mit einem zunehmenden Gleichlauf der Interessen einher geht. Denn auch China benötigt die globale Wirtschaft, um sein Wachstum voranzutreiben. Zudem sind die USA ebenfalls und nach wie vor ein bedeutender und vor allem unabhängiger Wachstumstreiber für die Weltwirtschaft.

Aus deutscher Sicht wären mehr Investitionen aus China in Deutschland im Sinne gleicher Interessen durchaus wünschenswert – vor allem wenn Risiken der Wertschöpfungsverlagerung ins Ausland überschaubar bleiben sollen
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China zeigt hohes Maß an globaler Vernetzung

China ist seit Jahren einer der entscheidenden globalen Wachstumstreiber. Das Land ist aktuell nach den USA wichtigster Handels- wie Investitionspartner Deutschlands. Zudem ist China wegen seiner hohen Vernetzung im asiatischen Raum ein bedeutender Treiber der regionalen Entwicklung. Ohne Zweifel hat Chinas WTO-Beitritt Ende 2001 maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen. So hat sich das Pro-Kopf-BIP in China in den letzte 20 Jahren fast vervierfacht, und die chinesischen Konsumenten werden zunehmend zu einem bedeutenden globalen Wachstumstreiber. Auch auf wichtigen Weltmärkten – etwa für Rohstoffe oder Industriegüter – ist China inzwischen ein entscheidender Player.

Aktuell steht die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China mehr und mehr auf dem Prüfstand. So sehen es viele Marktbeobachter als wünschenswert an, Wertschöpfung nach Deutschland zurückzuverlegen. Auch betrachten sie Investitionen in China zunehmend mit Skepsis. Grund ist die Sorge, chinesische Interessen würden nicht im Einklang mit deutschen sowie globalen stehen und eine starke China-Abhängigkeit könnte der eigenen Wirtschaftsentwicklung schaden. Doch auch Chinas Abhängigkeit von der globalen Wirtschaft hat sich erhöht. Der steigende Wohlstand der chinesischen Bevölkerung und vor allem auch ihre wachsenden Erwartungen nötigen die chinesische Führung, ein anhaltend hohes Wirtschaftswachstum sicherzustellen. Dafür benötigt sie intakte globale wirtschaftliche Beziehungen. Denn seit dem WTO-Beitritt ist China in die Weltwirtschaft integriert worden, eine Trennung der eigenen von globalen Interessen ist immer weniger möglich. So machen Exporte und Importe mittlerweile fast 50 Prozent des chinesischen BIP aus. Die USA hingegen haben eine nennenswert niedrigere Quote. Ihre Interessen sind demnach um einiges unabhängiger von denen der restlichen Welt, als dies für die chinesische Wirtschaft gilt. Auch deutet das anhaltende US-Handelsbilanzdefizit darauf hin, dass weltweite Produktionskapazitäten von der US-Politik abhängig sind. Deshalb kann die Politik in den USA auch unabhängiger agieren als in China. In Deutschland hingegen fällt der Offenheitsgrad der Wirtschaft zwar deutlich höher aus als in China, aber Deutschland ist auch eine deutlich kleinere Volkswirtschaft.
Grundlage für die mittlerweile symbiotische Beziehung ist die starke Vernetzung von Chinas Wirtschaft mit der Weltwirtschaft. Chinas Streben nach höherem Lebensstandard ist deshalb eng mit einer wachsenden Weltwirtschaft verbunden und von dieser abhängig. Ein Auseinanderdriften globaler und chinesischer Interessen scheint somit immer weniger wahrscheinlich zu sein. Nicht nur ist die Weltwirtschaft infolge des Handels und internationaler Kapitalbewegungen abhängiger von China geworden, auch China zeigt eine zunehmende Abhängigkeit von der Weltwirtschaft. Und es sind nicht nur die chinesischen Exporte, die spürbar zugenommen haben, sondern auch die Importe. Es ist also kein einseitiges Exportwachstum festzustellen, sondern vielmehr ein Integrationsprozess, den China in den letzten Jahren durchlaufen hat.

Empirische Analyse bestätigt gegenseitige Abhängigkeit

Aufgrund der Größe und vor allem des kräftigen Wachstums hat China in den letzten Jahren rund 1,2 Prozentpunkte zum Wachstum des Welt-BIP beigetragen. Der eigentliche Beitrag Chinas sollte angesichts der globalen Vernetzung höher liegen. Ein stärkerer Gleichlauf zwischen China und dem Rest der Welt ist vor allem seit 2000 zu erkennen – mit Ausnahme der USA. Wie erwartet, hat der WTO-Beitritt die Integration Chinas in die Weltwirtschaft deutlich verstärkt. Abb. 3 zeigt die Korrelation des Wirtschaftswachstums von China und wichtigen anderen Volkswirtschaften. Im Folgenden wird auf empirische Ergebnisse verwiesen, die auf Schätzungen für die Periode 2000 bis 2022 beruhen.
Sinkt das chinesische Wirtschaftswachstum um einen Prozentpunkt, reduziert sich gemäß IKB-Simulationen das Wachstum der Weltwirtschaft um rund 0,25 Prozentpunkte. Eine Stagnation der chinesischen Wirtschaft würde folglich zu einer Rezession der Weltwirtschaft führen. Wenn das Wachstum der US-Wirtschaft um 1 Prozentpunkt sinkt, geht das globale Wirtschaftswachstum sogar um rund 0,8 Prozentpunkte zurück. Die Abgängigkeit der Weltwirtschaft von den USA ist also noch bedeutender als die von China, auch wenn das hohe chinesische Wachstum den Einfluss Chinas erhöht. Die US-Wirtschaft wird allerdings vorrangig durch die Binnennachfrage getrieben, was sie autark und unabhängiger von der Weltkonjunktur macht.

Die chinesische Wirtschaft, die im Handel mit den USA einen enormen Überschuss aufweist, würde infolge eines BIP-Rückgangs in den USA von 1 Prozentpunkt mit knapp 0,5 Prozentpunkten belastet werden. Angesichts der hohen chinesischen Wirtschaftsdynamik mag diese Abhängigkeit überschaubar, aber nicht unbedeutend sein.   

Ein Rückgang des globalen BIP-Wachstums würde deshalb die US-Wirtschaft nicht entscheidend belasten. China braucht hingegen ein robustes US-amerikanisches wie globales Wirtschaftswachstum, um seine hohen Ziele ohne fiskalische oder andere Stimulierungen zu erreichen. Angesichts des Offenheitsgrads von rund 50 Prozent ist dies nicht überraschend. Unsere Simulationen berücksichtigen natürlich nicht außerordentliche fiskalische oder geldpolitische Maßnahmen sowie strukturelle Veränderungen. Es geht vielmehr um die Illustration der gegenseitigen Abhängigkeiten bedeutender Volkswirtschaften, ohne konkrete Wachstumsprognosen zu generieren.

Die Abhängigkeit des deutschen BIP von der globalen Konjunkturentwicklung sinkt infolge anhaltender Spezialisierung und Wertschöpfungsverlagerung schon seit längerem. So ist der Standort Deutschland insgesamt weniger betroffen als die einzelnen Unternehmen, die zwar durch Investitionen im Ausland die Abhängigkeit des deutschen Standortes reduziert, die eigene jedoch erhöht haben. Sinkt das globale Wirtschaftswachstum um 1 Prozentpunkt, belastet dies dennoch das deutsche BIP-Wachstum mit knapp 0,9 Prozentpunkten. Dafür verantwortlich sind die hohe Exportabhängigkeit und der hohe Offenheitsgrad der Wirtschaft.

Die Simulationen der IKB zeigen, dass eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen China und dem Rest der Welt besteht:

  • China ist ein bedeutender globaler Wachstumstreiber; dies gilt vor allem aus Sicht europäische Unternehmen. Angesichts des niedrigen Potenzialwachstums in Europa stellt sich also eher die Frage, ob wir am Wachstum teilhaben wollen oder nicht. Allerdings bleiben auch die USA mit ihrem Handelsbilanzdefizit eine wichtige Lokomotive des globalen Wachstums.
  •  Abhängigkeiten sollten nicht überbetont werden, da China das globale Wirtschaftswachstum und damit die Vernetzung von Handel und Investitionen benötigt, um seine eigenen Wachstumsziele zu erreichen und damit den Erwartungen seiner Bevölkerung gerecht zu werden.
  • Die Abhängigkeit der Weltwirtschaft von den USA ist nach wie vor größer als die von China.
  • Die deutsche Abhängigkeit der globalen Konjunkturentwicklung lässt nach, da Unternehmen Wertschöpfung im Schatten des sinkenden deutschen Potenzialwachstums verlagern. Grundsätzlich bleibt infolge des bedeutenden deutschen Handelsbilanzüberschusses die Abhängigkeit dennoch hoch.

Deutschland: Zunehmende Abhängigkeit der eigenen Wertschöpfung benötigt Direktinvestitionen aus China

Laut dem Sachverständigenrat dominiert China bei deutschen Produkten mit der stärksten Importabhängigkeit. Das Handelsvolumen bei diesen Produkten ist fast dreimal so hoch wie mit den USA, die an zweiter Stelle stehen. So mag China zwar insgesamt einen überschaubaren Anteil an den deutschen Importen von 12,6 Prozent haben; bei einzelnen bedeutenden Importprodukten jedoch dominiert China mit einem Anteil von rund 45 Prozent klar, so der Sachverständigenrat. Konsumgüter spielen hierbei sicherlich eine besonders große Rolle.

Die Zusammensetzung der aus China importierten Güter hat sich jedoch verändert und zeigt eine Tendenz hin zu mehr Vorleistungsgütern und weniger Konsumgütern. Dies deutet auf eine steigende Abhängigkeit der deutschen Wertschöpfung hin. Deshalb sollte ein höherer Investitionsgrad Chinas in Deutschland gefördert werden. Denn zum einen geht das einher mit robusteren Lieferketten. Zum anderen aber harmonisiert das gegenseitige Interessen bzgl. Vermögensbestände. Aktuell verfügen deutsche Unternehmen infolge von Direktinvestitionen über einen hohen und zunehmenden Vermögensbestand mit ebenfalls zunehmender Wertschöpfung in China. Hier fehlt eine ausreichende Gegenposition, um die Risiken solch einer Abhängigkeit zu reduzieren. Deshalb sollten chinesische Direktinvestitionen in Deutschland gefördert werden. Dies gilt vor allem für Investitionen, bei denen eine Verlagerung der Wertschöpfung bzw. ein Know-how-Transfer nach China eher unwahrscheinlich erscheint – wie beim Hamburger-Hafen.
Gegenseitige Abhängigkeiten von Volkswirtschaften sollten nicht nur negativ beurteilt werden. Zum einen sind sie eine notwendige Konsequenz aus der anhaltenden globalen Spezialisierung und führen zu Produktivitätssteigerungen. Zum anderen können Abhängigkeiten stabilisierend wirken. So waren es insbesondere die chinesischen Konjunkturproramme nach der Finanzkrise 2009, die einen maßgeblichen Beitrag zur konjunkturellen Stimulierung Deutschlands und der Weltwirtschaft beigetragen haben.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank und schreibt dort auch im eigenen IKB-Blog. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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