Schwellenländeranleihen: Was bewegt die Anleger aktuell?

Polina Kurdyavko, BlueBay Asset Management,
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Der Markt für Schwellenländeranleihen könnte in den kommenden sechs bis neun Monaten Chancen für Hedge-Fonds-Strategien bieten, die von der Volatilität profitieren können. Es gibt mehrere Segmente innerhalb der Anlageklasse, die sowohl aus Beta- als auch aus Long/Short-Perspektive interessant scheinen. Was das Beta betrifft, so befinden sich die Renditen der Anlageklasse auf einem 13-Jahres-Hoch. Auch wenn es kurzfristig zu weiteren Abwärtsbewegungen kommen könnte: Mittelfristig bieten ausgewählte Marktsegmente unserer Meinung nach Potenzial.

Ausverkauf in den Schwellenländern eröffnet Chancen

In der Vergangenheit ließen sich robuste Renditen erzielen, indem Ausverkäufe bei Schwellenländeranleihen genutzt wurden. Wir gehen davon aus, dass dies auch jetzt so sein wird.

Unseres Erachtens sind dafür drei Faktoren maßgeblich:

US-Zinsen: Die Inflation in den Vereinigten Staaten bleibt hartnäckig. Die Marktteilnehmer beginnen aber, am langen Ende der Zinskurve eine höhere Rezessionswahrscheinlichkeit einzupreisen. Dadurch ist sie stärker verankert. High-Carry-Anlagen wie Schwellenländeranleihen können davon profitieren, da sie eher von der Stabilität der Zinskurve abhängig sind.

Russland/Ukraine-Krieg: Die Investoren warten auf eine Lösung für den Krieg und seine Auswirkungen auf Energie- und Agrarrohstoffe. Solange die Unsicherheit anhält, dürften sich einige Schwellenländeranlagen nur schwerlich stabilisieren können. Das könnte zu Herausforderungen auf der Beta-Seite führen. Es schafft aber auch ein Umfeld, in dem es vorteilhaft sein kann, flexibel Long- und Short-Positionen einzugehen.

Politische Unsicherheiten: Eine Reihe von Schwellenländern durchlaufen politische Veränderungen. Deren Resultate werden den Umfang ihres Engagements beim Internationalen Währungsfonds bestimmen. Das gilt beispielsweise für Sri Lanka, Tunesien, Pakistan und in gewissem Maße auch für Argentinien. Daraus könnten sich positive Impulse ergeben.

Dennoch wird Flexibilität aus unserer Sicht von ganz zentraler Bedeutung sein, um positive Renditen zu erzielen.

Für Long/Short-Strategien bieten sich aufgrund des hohen Differenzierungsgrades zahlreiche Gelegenheiten. In China beispielsweise hat die Corona-Politik einige Sektoren erheblich belastet, während andere sich relativ robust zeigten. Auch auf den lokalen Zinsmärkten rechnen wir mit mehr Opportunitäten, da die Inflation in einigen Ländern auf ihren Höhepunkt zusteuert.

Umgekehrt könnte die ineffektive Geldpolitik in Ländern wie der Türkei die Inflation weiter verschärfen und die Währung und damit auch den Bankensektor stärker unter Druck setzen.

Mit Blick auf notleidende Kredite sind wir zwar nach wie vor von ausgewählten Staatsanleihen sowie bestimmten Unternehmenstiteln überzeugt, beobachten aber vorsichtig die Entwicklungen in einigen anderen Bereichen, in denen wir Gegenwind von politischer Seite erwarten – zum Beispiel bei bestimmten Unternehmen in China und der Türkei.

Flexibilität unter Investoren gefragt

Wir befinden uns in einer Gaskrise und Deutschland ist das Epizentrum. Vor kurzem ist Deutschland in Phase 2 seines dreistufigen Gasnotstandsplans eingetreten. Damit hat das Land auf die Gefahr reagiert, dass sein wichtigster Gaslieferant Russland die Lieferungen einstellen könnte. In dieser Phase können die Versorgungsunternehmen theoretisch bestehende Gasverträge aufkündigen und höhere Preise an die Kunden weitergeben, um die Nachfrage zu senken. Dazu benötigen sie jedoch zunächst die Genehmigung der Bundesnetzagentur, der deutschen Regulierungsbehörde für den Strom-, Gas-, Telekommunikations-, Post- und Eisenbahnmarkt.
 
Bezeichnenderweise ist der Eintritt in Phase 2 Voraussetzung für die Wiederaufnahme der Nutzung von Kohlekraftwerken. Die wurden mit dem bis 2030 anvisierten Kohleausstieg größtenteils eingemottet. Dieses Ziel ist nun in Gefahr.
 
Phase 3 schafft dann die Grundlage für die Rationierung von Gas. Sie würde Haushalten Vorrang vor industriellen Verbrauchern einräumen, möglicherweise zu Stromausfällen führen und Deutschland mit ziemlicher Sicherheit in eine Rezession stürzen. Auch aus sozialer Sicht hätte dies Auswirkungen: Untersuchungen haben gezeigt, dass Wirtschaftsabschwünge in der Vergangenheit mit einer höheren Sterblichkeitsrate verbunden waren. In der Regel ist dies in betroffenen Schwellenländern stärker zu spüren. Deutschlands Lieferketten aber sind mit dem gesamten Kontinent verflochten, sowohl mit den Industrie- als auch Schwellenländern. Die Auswirkungen werden daher auf breiter Basis spürbar sein.

Interesse nimmt zu

Schwellenländeranleihen haben jüngst noch nie dagewesene Kapitalabflüsse erlebt. Es gibt aber Anzeichen dafür, dass sich institutionelle Investoren wieder verstärkt engagieren wollen – auch wenn es noch einige Zeit dauern wird, bis sich das vollständig manifestiert.

Ein Großteil des Interesses der Anleger konzentriert sich auf Hartwährungsanlagen und flexible Total-Return-Strategien, bei denen sie sich nicht auf eine einzelne Anlageklasse festlegen müssen. Vor dem Hintergrund ihrer mangelnden Überzeugung hinsichtlich des Betas der einzelnen Anlageklassen halten wir dies auch für sinnvoll.

Wir beobachten aber auch Impulse für Low-Turnover-, Index-Plus- sowie Buy-and-Hold-Strategien. Diese kommen insbesondere von deutschen und niederländischen Versicherern sowie von japanischen Anlegern, die von den Renditen in den Schwellenländern profitieren wollen.

Das Interesse an Long/Short-Strategien hat in den vergangenen sechs Monaten zugenommen, da einige Anleger eine Allokation in Hedge-Fonds in Erwägung ziehen und mehr Flexibilität sowie unkorrelierte Anlagen in ihren Portfolios wünschen.
Polina Kurdyavko ist Head of Emerging Markets bei BlueBay Asset Management