Zinswende: Bitte anschnallen!

Dr. Jürgen Michels, BayernLB
Dr. Jürgen Michels / Bild:BayernLB
Getrieben von historisch hohen Inflationszahlen hat die Fed im Juni mit einem ungewöhnlich großen Zinsschritt von 75 Basispunkten agiert, während die EZB – noch in den Startlöchern – substanzielle Zinserhöhungen für den Sommer angekündigt hat. Da sich am herausfordernden Inflationsumfeld zunächst wenig ändern wird, erwarten wir im zweiten Halbjahr auf beiden Seiten des Atlantiks markante Zinserhöhungen um jeweils 175 Bp.

Marktturbulenzen erwartet

Auch wenn die Märkte bereits im Juni, der von erneuten Kursrückgängen in nahezu allen Asset-Klassen geprägt war, vieles von den bevorstehenden Zinserhöhungen eingepreist haben, stehen bei der Umsetzung der strafferen Geldpolitik weitere Marktturbulenzen an. Dabei dürften die jüngsten Höchststände bei den längerfristigen Zinsen in den USA und im Euro-Raum nochmals übertroffen werden. Neben den Zinserhöhungen wird dazu auch die Verschärfung des „Quantitative Tightening“ (QT) der Fed beitragen. Während die Fed ihren Anleihebestand abbaut, ist dies bei der EZB noch lange nicht abzusehen. Im Gegenteil: die EZB dürfte gezwungen werden, im Rahmen des noch zu definierenden Anti-Fragmentierungsinstruments erneut Netto-Käufe von Peripherie-Anleihen zu tätigen. Auch wenn dies durch die Herausgabe von EZB-Schuldtiteln sterilisiert werden dürfte, zeigt sich einmal mehr das Dilemma der EZB, eine einheitliche Geldpolitik für einen uneinheitlichen Währungsraum zu gestalten.

Rezession und Stagflation

Die straffere Geldpolitik wird die durch Kaufkraftverluste, Lieferkettenprobleme und die Verunsicherung über den Krieg in der Ukraine ohnehin angeschlagene Konjunktur zusätzlich belasten. Wir haben daher unsere BIP-Prognosen für 2023 erneut nach unten revidiert. Wir erwarten eine technische Rezession in den USA und eine längere Stagflationsphase im Euro-Raum. 2023 sollte die Inflation jedoch nach unten kommen und die Zentralbanker wieder entspannter werden lassen. Die EZB-Zinsen dürfte daher im ersten Halbjahr 2023 den Höhepunkt erreichen und die Fed in der zweiten Jahreshälfte sogar die Zinsen senken. Beides sollte auf Jahressicht zu einer Korrektur der Zinsen am langen Ende beitragen.

Was die Konjunktur anbelangt, bleiben die Risiken hoch, besonders in Europa, wo ein wahrscheinlich gewordener russischer Gaslieferstopp die größten Auswirkungen hätte. Bei all den negativen Nachrichten, sollten die Stabilisierungszeichen aus China nicht ignoriert werden. Nach Beendigung der Lockdowns steht dort eine Belebung der Wirtschaft an.
Dr. Jürgen Michels ist Chefvolkswirt und Leiter Research der BayernLB in München. Vor seinem Start bei der BayernLB arbeitete er zwischen 2002 und 2013 als kapitalmarktorientierter Euro-Raum Volkswirt bei der Citigroup in London, seit  2008 als Euro-Raum Chefvolkswirt. Von 1997 bis 2002 war er als Volkswirt bei Sal. Oppenheim in Köln und von 1996 bis 1997 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale Wirtschaftspolitik der Universität Bonn tätig. Dr. Michels studierte Volkswirtschaft an der Universität Bonn. Er promovierte mit einer Arbeit zu Zentralbankstrategien an der Universität Frankfurt.