Grüne Investitionen: Anleger sind der Politik voraus

Jakob Thomä, 2° Investing Initiative Deutschland
Jakob Thomä / Bild: 2° Investing Initiative Deutschland
Politische Debatten über grüne Labels für ganze Industriezweige lassen die Frage außer Acht, welches individuelle Verständnis von Nachhaltigkeit Anlegerinnen und Anleger haben. Warum das bei der Diskussion über grüne Investitionen der eigentlich wichtigere Aspekt sein sollte, lesen Sie hier:
Das Thema „nachhaltige Investitionen“ ist heute ohne Zweifel nicht nur ein finanzielles Thema, sondern eines mit politischer Tragweite. So wurden bei der internationalen Klimakonferenz COP26 im November letzten Jahres wieder einmal viele gut klingende neue Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit in der Finanzbranche diskutiert, bei denen die konkreten Umsetzungen abzuwarten bleiben. Oder ganz aktuell die Taxonomie-Entscheidung der EU-Kommission, die die große Frage, was man unter grünen Investitionen eigentlich verstehen darf, wieder auf den Tisch gebracht hat.

Lagerkämpfe statt grundsätzliches Denken

Solche großen Nachhaltigkeitsdebatten verlieren sich gerne in Lagerkämpfen, wie zum Beispiel „Anti-Atomkraft“ versus „Pro-Atomkraft“ oder in Detailfragen darüber, wie viele CO2-Emissionen wann und wo für wen erlaubt sein sollen. Dies sind ohne Frage wichtige Punkte, die geklärt werden müssen. Doch bei solch kleinteiligen Diskussionen gerät etwas viel Grundsätzlicheres aus dem Blick. Denn im Endeffekt entscheiden private Anlegerinnen und Anleger selbst, was sie hinsichtlich ihres eigenen Nachhaltigkeitsverständnisses als gute oder schlechte Investition empfinden. Zwar können Labels, Branchen-Standards oder Zertifizierungen eine gute Hilfe sein, um Privatanlegern Orientierung bei ihren Entscheidungen zu geben. Wer aber der Überzeugung ist, dass Atomenergie keine grüne Technologie ist, wird nicht in diese investieren wollen, – unabhängig davon, wie die Europäische Union das Thema sieht. Und wer kein Problem mit Kohle hat, wird auch kein Problem damit haben, Geld in diese Branche zu stecken.

Was sind die Gründe für die Investition?

Außerdem löst die Debatte über grüne Labels und Nachhaltigkeitssiegel nicht die deutlich grundlegendere Frage, zu welchem Zweck jemand überhaupt investiert – oder eben nicht. Wer mit seiner Investition den Klimawandel bekämpfen möchte, steckt möglicherweise gerade deshalb ganz bewusst Geld in Unternehmen der Kohlebranche, um als Aktionär mit seinem Stimmrecht Einfluss auf Unternehmensentscheidungen zu nehmen und eine Dekarbonisierung herbeizuführen. Will ein Anleger bestimmte Themen wie beispielsweise die Produktion von Waffen, jedoch auf jeden Fall meiden, etwa aus religiösen oder moralischen Gründen, wird er einen Fonds, der zwar ein renommiertes Nachhaltigkeitssiegel hat, aber dennoch bis zu einem gewissen Schwellenwert in die fragliche Branche investiert, nicht in sein Portfolio aufnehmen.

Privatanlegern hilft ein Schwarz-Weiß-Schema nicht weiter

Die Herausforderung, Privatanlegern genau die Anlageprodukte bereitzustellen, die ihren Ansprüchen und Vorstellungen entsprechen, ist sicherlich entscheidender als die
fortlaufende Diskussion darüber, was nun wie grün ist und was nicht. Die tatsächlichen Konsequenzen solcher Klassifizierungen für die Allokationen auf dem Kapitalmarkt bleiben sowieso überschaubar. Denn gerade institutionelle Investoren, die mit ihren Investitionssummen den Markt signifikant beeinflussen, warten nicht auf das Hin und Her der Politik, sondern haben sich schon längst zu Nachhaltigkeit positioniert und aufgestellt. Viele lehnen die EU-Taxonomie mit Atomenergie als „grünen“ Investments ab und folgen eigenen, zum Teil strengeren Kriterien.
 
Aber auch für Privatanleger, die nachhaltig investieren wollen, sind allgemeine ESG-Siegel oder Nachhaltigkeitslabel nach einem einfachen Schwarz-Weiß-Schema im Zweifel weniger hilfreich als eine individuelle Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen und Präferenzen. Deshalb ist es wichtig, dass sich Anleger über ihre eigenen Ideen von nachhaltiger Geldanlage klar werden und sich informieren, welche Produkte damit für sie in Frage kommen. Denn das Angebot an – vermeintlich oder tatsächlich – ESG-konformen Fonds und Anlageprodukten ist mittlerweile riesig und entsprechend unübersichtlich und undurchsichtig. Privatanleger laufen dabei schnell Gefahr, den Überblick zu verlieren. Unabhängige Plattformen wie das Informationsportal MeinFairMoegen.de können hier helfen, aus der Fülle an Nachhaltigkeitslabeln und verschiedenen Beurteilungsansätzen passende Produkte zu finden. Denn nur wenn Privatanleger sich sicher sein können, dass sie auch wirklich entsprechend ihres eigenen Nachhaltigkeitsverständnisses investieren, steigt die Bereitschaft Geld grün anzulegen – unabhängig davon, was auf der politischen Agenda steht.

Über 2° Investing Initiative

Die 2° Investing Initiative (2DII) ist ein internationaler, gemeinnütziger Thinktank, der daran arbeitet, Finanzmärkte und Regulierungen mit den Zielen des Pariser Abkommens in Einklang zu bringen. 2DII arbeitet weltweit in Paris, New York, Berlin und London und koordiniert die größten Forschungsprojekte zu Klimametriken auf den Finanzmärkten.
Jakob Thomä ist Managing Director der 2° Investing Initiative Deutschland