Keine Renaissance der Atomkraft

Matthias Fawer, Vontobel
Matthias Fawer / Bild: Vontobel
  • Pläne der EU-Kommission, Erdgas und Atomenergie im Rahmen der EU-Taxonomie als klimafreundliche Energieträger zu klassifizieren, dürften Wahrnehmung der Anleger nicht signifikant verändern
  • Künftig zwei Definitionen von Taxonomikonformität denkbar
  • Neue Atomprojekte zu spät für aktuelle Engpässe, Fokus auf sichere Abwicklungsphasen legen
  • Keine Renaissance der Atomkraft, da solides Potenzial zur Kostensenkung bei Solar- und Windenergie
Die Pläne der EU-Kommission, Erdgas und Atomenergie im Rahmen der EU-Taxonomie als klimafreundliche Energieträger zu klassifizieren, dürften unserer Ansicht nach die Wahrnehmung von Mainstream-Anlegern, denen es um nachhaltige Anlageprodukte geht, nicht verändern. Atomkraft wird von Anlegern mit Fokus auf Nachhaltigkeit allgemein als Ausschlusskriterium für ihre nachhaltigen Produkte ausgelegt, ebenso wie Kohle, Öl und andere fossile Energieträger, einschließlich Erdgas. In der Regel werden für die Investitionen Schwellenwerte von fünf bis zehn Prozent festgelegt. Bislang haben wir von unseren Kunden noch keinerlei Hinweise erhalten, dass sich diese Positionierung maßgeblich ändern könnte.

Mit oder ohne Atomkraft

Wie auch immer am Ende das Ergebnis für die Taxonomiebestimmungen sein wird: Wir erwarten, dass Vermögensverwalter unter Umständen zwei verschiedene Werte für ihre Taxonomiekonformität melden werden – einen mit und einen ohne Atomkraft und Erdgas. So wäre die Transparenz gegenüber ihren Kunden gewahrt, die dann wiederum die Möglichkeit hätten, zu entscheiden, was aus ihrer Sicht „grüne“ Anlagen sind. Dies ist auch deshalb so wichtig, weil vermieden werden muss, dass das Vertrauen in die Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR) insgesamt erschüttert wird.
 
Der kontroverse Vorstoß zum Jahreswechsel hat aber auch einen positiven Aspekt. Die Debatte über die Gestaltung der schwierigen und heiklen Übergangsphase, bis erneuerbare Energien den gesamten Strombedarf abdecken können, ist damit eröffnet.

Verantwortungsvolle Übergangsstrategie

Vor diesem Hintergrund werden wir weiter in Stromversorger investieren, die eine verantwortungsvolle Übergangsstrategie aufweisen. Eine solche Strategie beinhaltet unserer Ansicht nach, den Großteil der Investitionen (CAPEX) in neue Kapazitäten für erneuerbare Energien fließen zu lassen und dabei  konventionelle Kraftwerke – hauptsächlich Gas und Atomkraft, da Kohlekraft als erste Energieform abgewickelt wird – als notwendige Reserve für einzelne Regionen so lange wie nötig in Betrieb zu belassen.
 
Wir sind der Auffassung, dass die Diskussion sich mehr auf die Planung einer sinnvollen und sicheren Abwicklungsphase für Atomkraftwerke konzentrieren sollte als auf die Investition in teure und langwierige neue Projekte. Diese werden ohnehin zu spät kommen, um diverse aktuelle Engpässe zu überbrücken. Als einzige Investitionen machen vielleicht einige Gaskraftwerk-Projekte Sinn, die als Notreserve und zur Deckung von Bedarfsspitzen dienen, gegebenenfalls in Kombination mit der Abscheidung, Nutzung oder Speicherung von CO2.

Keine Renaissance der Atomkraft

Aus wirtschaftlicher Sicht steht für uns außer Zweifel, dass es nicht zu einer Renaissance der Atomkraft kommen wird. Das Potenzial zur Kostensenkung und Skalierbarkeit von Solar- und Windenergie ist – auch unter Berücksichtigung von Verbesserungen am Batterie- und Energiemanagement – zu solide und die Projektrealisierung geht viel zügiger voran, weshalb kein Bedarf an neuen risikoreichen Atomkraftprojekten besteht.
Matthias Fawer ist Analyst ESG & Impact Assessment bei Vontobel Asset Management