Till Christian Budelmann / Bild: Privatbank Bergos
Nach einem für Kapitalanleger äußerst erfreulichen Jahr 2021 blicken wir konstruktiv ins neue Jahr, auch wenn wir insgesamt bescheidenere Erträge erwarten. Die Anleiherenditen dürften steigen, Aktien bleiben vorerst die attraktivere Anlageklasse. Es wird jedoch schwieriger, hier hohe Renditen zu erzielen. Aktives Management, welches das Kapital in die richtigen Regionen, Sektoren und Subsegmente steuert, gewinnt 2022 an Bedeutung. So zählt beispielsweise nicht mehr der gesamte IT-Sektor zu den strukturellen Gewinnern in den USA.
Nach einer insgesamt nachlassenden Dynamik über den Winter sollte die
Weltwirtschaft 2022 wieder ordentlich wachsen. Wir erwarten mit über 3,5
Prozent eine Zahl leicht über dem Trendwachstum.
Nach unseren Prognosen tragen dazu die Eurozone und Großbritannien mit
einem Wachstum von 5 Prozent, die USA mit knapp 4 Prozent bei. Der durch
die Corona-Maßnahmen bedingte Einbruch der globalen Wirtschaftsleistung
um 3,1 Prozent im Jahr 2020 ist mit dem fürs laufende Jahr von uns erwarteten Zuwachs von über 4,5 Prozent bereits ausgeglichen.
Zinserhöhung in den USA, aber nicht in der Eurozone
Diese Entwicklung stützt zusätzlich unsere Annahme, dass in der Eurozone anders als in den USA 2022 kein Zinsschritt erfolgen wird. Die US-Notenbank hat im November mit der schrittweisen Reduzierung ihrer Anleihekäufe begonnen, Mitte 2022 dürfte dieses Tapering beendet sein und im zweiten Halbjahr 2022 eine erste Zinserhöhung erfolgen. Einen zweiten Zinsschritt im nächsten Jahr halten wir aus jetziger Sicht für eher unwahrscheinlich, aber nicht undenkbar. Die Inflation wird nach unseren Prognosen von 4,5 Prozent im laufenden Jahr auf 4 Prozent im kommenden Jahr und 2,5 bis 3 Prozent 2023 fallen. Eine ähnliche Entwicklung, aber auf niedrigerem Niveau, erwarten wir in der Eurozone. Nach einer Teuerung von 2,5 Prozent 2021 soll sie 2022 bei 2 bis 2,5 Prozent liegen.
Steigende Unternehmensgewinne werden die Aktienkurse antreiben
Das fundamentale Umfeld spricht weiterhin für eine Übergewichtung von Aktien gegenüber Anleihen. In unserem Basisszenario, auf dem unsere Positionierung beruht, gehen wir davon aus, dass sich die Bewertungen nicht weiter ausweiten, sondern seitwärts verlaufen. Kursgewinne müssen also durch steigende Unternehmensgewinne, die wir durchaus erwarten, gestützt werden. Wir rechnen für 2022 daher mit einer positiven Gesamtperformance für Aktien, allerdings werde diese nur etwa bei einem Viertel bis einem Drittel der bislang sehr guten 2021er-Jahresergebnisse liegen.
Bei IT-Aktien genauer hinschauen
Regional sehen wir für 2022 wie auch in den Vorjahren das größte Aufwärtspotenzial in den USA, dieses Mal ergänzt um Japan. Europa hat Bergos neutral gewichtet, die Emerging Markets inklusive China dürften weiterhin hinterherhinken und bleiben im Untergewicht. Aus sektoraler Sicht bevorzugen wir die strukturellen Gewinner in den USA. Hierzu zählen Kommunikationsdienstleister und im IT-Sektor der Software-Bereich. Bei Hardware sind wir vorsichtiger, nicht zuletzt aufgrund der derzeitigen Lieferengpässe. Ebenfalls positiv gestimmt sind wir für ausgewählte zyklische Titel, etwa US-Finanztitel und europäische Industrie- und Grundstoff-Unternehmen. Ein Untergewicht bei so genannten Bond-Proxys aus den Sektoren Immobilien, Versorger und Basiskonsum bleibt zum Jahresstart per Saldo bestehen.
Kurze Durationen bei Anleihen, Gold als Absicherung, Euro mit Aufwertungspotenzial
Im Anleihebereich rechnen wir mit tendenziell steigenden Renditen: Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen dürften sich im kommenden Jahr in Richtung 2 Prozent bewegen. Entsprechend bevorzugen wir eine extrem kurze Duration in den USA, um potenzielle Kursverluste möglichst gering zu halten. Auch in Europa setzt man auf kurze Duration, wenn auch nicht so deutlich ausgeprägt wie in den USA. Anleihen sind heute weniger eine Renditequelle als vielmehr ein Diversifikator im Multi-Asset-Portfolio.
Unter den Alternativen Investments halten wir insbesondere Industriemetalle und Wandelanleihen für aussichtsreich. Gold sieht man bei Bergos derzeit weniger als Performancetreiber, schätzt das Edelmetall aber als natürliche Absicherung gegen das Aktienrisiko im Portfolio.
Bereits seit einiger Zeit zeigt sich der Euro relativ schwach, wozu auch der erneute Corona-Stress beiträgt. Wir denken, der Markt hat hier übertrieben. Gegenüber dem Dollar und dem Schweizer Franken hat der Euro wieder Aufwertungspotenzial. Euro-Anleger sollten daher insbesondere bei US-Anlagen über eine teilweise Absicherung der Währung nachdenken.
Till Budelmann ist Chief Investment Officer bei der Schweizer
Privatbank Bergos AG. Als Kapitalmarktstratege kommentiert Till Budelmann regelmässig die Geschehnisse an den internationalen Kapitalmärkten und betrachtet diese im Kontext wirtschaftlicher und politischer Trends. Seit dem Jahr 2004 verantwortet Budelmann diverse Anlagestrategien und sitzt im Investmentkomitee des Hauses, seit 2013 ist er Managing Director.