Normalisierung von Wachstum und Inflation bei erhöhter Volatilität zu erwarten

Christel Rendu de Lint, Vontobel
Christel Rendu de Lint / Bild: Vontobel
  • Mit nachlassendem Wachstum und einer Lösung der Lieferkettenprobleme dürfte die Inflation mittelfristig zurückgehen und Zweitrundeneffekte wie Lohndruck unter Kontrolle halten
  • Ein Stagflations-Szenario wie in den 1970er Jahren erscheint eher unwahrscheinlich
  • Trotz einer sehr wahrscheinlich kontrollierten und umsichtigen Vorgehensweise bei Anleihenkäufen und Zinssätzen durch die Zentralbanken, dürften die Märkte im Jahr 2022 mit einer erhöhten Volatilität konfrontiert werden

Wachstum und Inflation - gepaart mit einer schrittweise erfolgenden geldpolitischen Straffung - dürften im Jahr 2022 eine sanfte Landung hinlegen. Der Aufwärtstrend bei Aktien wird wahrscheinlich anhalten, aber bei einer Verlangsamung des Wachstums im Zuge des natürlichen Zyklus abflachen. Anleger sollten jedoch auf einen Anstieg der Volatilität vorbereitet sein.

Nach den geldpolitischen Maßnahmen durch Staaten und Zentralbanken während der Pandemie haben die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte eine der spektakulärsten Phasen von Abschwung und anschließender Erholung in der Geschichte erlebt. Wie bei jedem natürlichen Zyklus verlangsamt sich das Wachstum nun wieder und wird sich wahrscheinlich wieder seinem langfristigen Potenzial annähern.

Stagflationsängste sind unbegründet

Der rasche und ausgeprägte Inflationsanstieg hat sich als notwendiges Übel dieses beschleunigten Zyklus erwiesen. Er hat nicht nur die Erwartungen der meisten Marktteilnehmer, sondern auch die der Zentralbanken übertroffen. Erschwert wurde diese Situation durch beträchtliche Lieferkettenprobleme und einem deutlichen Anstieg der Rohstoffpreise. Dieser wird mit einem Ungleichgewicht zwischen Angebots- und Nachfragefaktoren in Verbindung gebracht.
 
Mit nachlassendem Wachstum und einer allmählichen Lösung der Lieferkettenprobleme dürfte die Inflation mittelfristig zurückgehen und Zweitrundeneffekte wie Lohndruck unter Kontrolle halten. In diesem Szenario dürfte es keine Auswirkungen auf das Wachstum geben, da das Verbraucherverhalten sich nur ändern würde, wenn die Inflation anhält. Daher sind die Befürchtungen des Marktes bezüglich eines Stagflations-Szenarios wie in den 1970er Jahren unbegründet. Wir werden zwar eine Phase mit Inflation über ihrem langfristigen Niveau und einer Wachstumsabschwächung erleben, aber die Löhne sind nicht länger an die Inflation gekoppelt. Auch sind die Zentralbanken unabhängiger und glaubwürdiger als damals.

Vertrauenswürdige Zentralbanken beruhigen den Markt

In der Tat werden die Zentralbanken durch eine kontrollierte und umsichtige Vorgehensweise bei Anleihenkäufen und Zinssätzen eine zentrale Rolle spielen, damit die Wirtschaft eine sanfte Landung ohne ein abruptes Ende des Wachstums hinlegen kann. Für die Zentralbanken wird es ein Drahtseilakt werden. Sie müssen die Bedenken des Marktes hinsichtlich der Sorglosigkeit im Zusammenhang mit der Inflation zerstreuen und gleichzeitig das Wachstum fördern. Auch darf nicht vergessen werden, dass die Zinsen wieder auf fast null gesunken sind. Dadurch bleibt den Zentralbanken wenig Handlungsspielraum, wenn das Wachstum einbrechen sollte – ganz zu schweigen von den überstrapazierten Staatshaushalten in Folge der massiven Ausweitung der fiskalpolitischen Maßnahmen im letzten Jahr.
 
Die US-amerikanische Notenbank Fed ist unter den Zentralbanken wahrscheinlich am besten für diesen Balanceakt aufgestellt. Sie verfügt über ein Doppelmandat, dass neben der Inflation auch das Wachstum (bzw. die Beschäftigung) berücksichtigt. Andere Zentralbanken fungieren dagegen als reine Währungshüter. In diesem Kontext ist es besonders bemerkenswert, dass es den Zentralbanken bislang gelungen ist, den Finanzmärkten nicht nur das Tapering, sondern auch mögliche Zinsanhebungen fast ohne Schocks an den Finanzmärkten und insbesondere bei Aktien zu vermitteln. Dies steht in deutlichem Gegensatz zum schmerzhaften Taper Tantrum im Jahr 2013: Obwohl Zinsanhebungen nicht konkret zur Debatte standen, gerieten die Märkte seinerzeit aufgrund der bloßen Möglichkeit von Zinsanpassungen ins Taumeln.

Aufwärtstrend bei Aktien bleibt bestehen

Trotz der Möglichkeit einer sanften Landung steht uns ein erhöhtes Volatilitätsniveau bevor. Dieses wird sich im Laufe des nächsten Jahres nachteilig auf risikoreiche Anlagen auswirken, da die Entwicklung der Inflation und des Wachstums beträchtliche Unsicherheiten beinhaltet. Die Zuversicht der Anleger könnte daher auf die Probe gestellt werden. Darüber hinaus bleibt das Risiko eines zwar unwahrscheinlichen, aber folgenschweren geldpolitischen Fehlers der Zentralbanken bestehen, falls diese beim Thema Inflation die Nerven verlieren. Aktien sollten diese Volatilitätsschübe jedoch gut verkraften können und behalten ihren positiven, wenn auch weniger steilen Aufwärtstrend bei. Der Grund hierfür sind die in diesem Quartal veröffentlichten hervorragenden Unternehmensergebnisse, die ein Zeichen für die Robustheit der Unternehmensbilanzen in den Industrieländern sind. Im Vergleich mit europäischen Aktien erschienen US-Aktien in der Post-Peak-Phase aufgrund ihres höheren erwarteten Ertragswachstums, ihrer geringeren Zyklizität und ihrer historischer Outperformance besonders attraktiv. Anleger sollten aber in jedem Fall ihre Portfolios auf ihre Risikobereitschaft abstimmen, um Kurzschlussreaktionen zu vermeiden.
Christel Rendu de Lint ist Deputy Head of Investment bei Vontobel Asset Management