Versorgungsengpässe treiben die Inflation an

Dr. Klaus Schrüfer, Santander Asset Management
Dr. Klaus Schrüfer / Bild: Santander Asset Management
Letzten Monat haben wir auf die wachsende Bedeutung von Versorgungsengpässen auf globaler Ebene für die Wirtschaftsaussichten hingewiesen. Und bisher gibt es kaum Anzeichen dafür, dass diese zurückgehen, insbesondere nicht in den USA oder dem Euroraum. 
 
Unabhängig davon, ob die Versorgungsengpässe vorübergehender oder dauerhafter Natur sind, wird die Inflation in den Industrieländern in den nächsten Monaten wahrscheinlich noch etwas weiter ansteigen, wenn die Öl- und Erdgaspreise auf ihrem derzeitigen Niveau bleiben sollten. Aber das kann die Geldpolitik nicht auffangen. Dies ist eine Frage der Rohstoffpreise.
 
Wird dies die entwickelten Volkswirtschaften in eine Stagflation treiben? Die Schlüsselfrage in diesem Zusammenhang ist nicht der Verbraucherpreisindex insgesamt, sondern die Frage, wie sich die Energieinflation auf den Kern-Verbraucherpreisindex und die Löhne auswirkt. Bislang ist das noch nicht klar, aber wir sind der Meinung, dass die jüngsten Lohnentwicklungen in den USA genau beobachtet werden müssen. Es scheint in der Tat so zu sein, dass die Fed Funds Rates Futures aufgrund von Inflationsängsten über dem Tempo der Zinserhöhungen liegen, das die amerikanische Notenbank in ihren Dot Plots andeutet.

Der Dienstleitungssektor in den USA birgt noch Wachstumspotenzial

Unserer Ansicht nach wird sich die Fed jedoch wie üblich auf das Wachstum konzentrieren. Und obwohl das derzeitige Szenario immer noch mit Zinserhöhungen vereinbar ist, glauben wir nicht, dass die Fed ihre Dot Plots aufgrund einer höheren Inflation nach oben korrigieren wird. Daher könnten die kurzfristigen Renditen zu stark gestiegen sein. Was die 10-jährigen Renditen angeht, sind wir jedoch der Meinung, dass sie angesichts des starken Geschäftsklimas und der guten BIP-Wachstumszahlen immer noch mit Aufwärtsrisiken behaftet sind.
 
Beachtenswert ist, dass sich das BIP-Wachstum in den USA im dritten Quartal 2021 trotz des starken Geschäftsklimas deutlich abgeschwächt hat, nachdem es in den vier vorangegangenen Quartalen sehr stark war. Die Abschwächung betraf die beiden wichtigsten Komponenten, den privaten Verbrauch und die Unternehmensinvestitionen. So schwächten sich die Impulse vom Konsum, nach zwei sehr starken Quartalen, im dritten Quartal 2021 deutlich ab. Allerdings muss man den Konsum zwischen dem weiterhin sehr solide wachsenden Bereich Dienstleistung und dem Bereich Güter, der aufgrund langlebiger Waren einbricht, unterscheiden. Letzteres ist zum Teil auf die Versorgungsengpässe im Automobilsektor zurückzuführen, aber auch darauf, dass die Güternachfrage (aufgrund des veränderten Konsumverhaltens während der Pandemie) bereits weit über ihrem Trend lag und die fiskalischen Anreize sie nicht mehr ankurbeln. Gerade der Dienstleistungssektor bietet jedoch noch Potenzial: Wir glauben also, dass der Güterkonsum noch einige Zeit lang eine Belastung bleiben könnte, aber die Aussichten für den Dienstleistungskonsum sind positiv: Er liegt immer noch weit unter seinem Trend und seine Entwicklung hängt nicht von den steuerlichen Anreizen ab, sondern von der Mobilität, der Beschäftigung und allgemein dem Einkommen der Haushalte.
 
Alles in allem ist die Konsumlücke in den USA fast vollständig geschlossen worden. Von nun an ist mit einem trendähnlichen Wachstum von etwa 2,5 Prozent zu rechnen. Was das Gesamt-BIP betrifft, so hat sich die Covid-Lücke ebenfalls verringert, ist aber noch nicht geschlossen worden. Es besteht also noch ein gewisser Spielraum für ein über dem Trend liegendes BIP-Wachstum.

Unternehmensinvestitionen dürften in den nächsten Quartalen wachsen

Die wichtigste Triebkraft sind laut Schrüfer die Unternehmensinvestitionen, für die die Aussichten ermutigend bleiben, und nicht der Verbrauch: Trotz der schwachen Zahlen im dritten Quartal 2021 deuten die jüngsten Zahlen und Fakten sowie das Geschäftsklima darauf hin, dass das Wachstum der Unternehmensinvestitionen in den nächsten Quartalen stärker sein wird. Im Gegensatz zum Automobilsektor gibt es im Investitionsgütersektor keine eindeutigen Anzeichen für weit verbreitete Lieferengpässe. Noch wichtiger ist, dass zumindest bis jetzt die wichtigsten Fundamentaldaten für die Nicht-Finanzunternehmen eindeutig günstig waren. Dies gilt insbesondere für die Kreditbedingungen, die Gewinne und die Gewinnspannen.
 
Die Versorgungsengpässe stellen derzeit das größte Abwärtsrisiko dar, weil sie einen schnelleren Produktionsanstieg verhindern, vor allem aber, weil sie – gerade bei Rohstoffen – einen Preisanstieg auslösen. Bislang sind die Engpässe grundsätzlich erheblich und es ist nicht klar, wann sie verschwinden werden. Die jüngste Verlangsamung des chinesischen Wachstums und insbesondere der chinesischen Importe dürfte dazu beitragen, den Preisdruck allmählich zu verringern, allerdings erst dann, wenn die Engpässe auf der Angebotsseite zu verschwinden beginnen.
 
In den letzten Monaten waren die Versorgungsunterbrechungen und Preissteigerungen auf den
Erdgasmärkten lbesonders auffällig: Wenn wir uns jedoch auf die potenziellen Auswirkungen des Anstiegs der Erdgaspreise auf die Einkommen der Haushalte konzentrieren, ist die Situation in den USA und Europa sehr unterschiedlich. In den USA scheint die Lage nicht so kritisch zu sein: In den 2000er Jahren waren die Erdgaspreise mehrmals höher. Wenn Erdgas in den USA auf dem derzeitigen Niveau bleibt, werden die Auswirkungen auf das Einkommen der Haushalte nicht stark genug sein, um einen signifikanten Einfluss auf den Verbrauch zu haben.“

Zentralbanken legen ihren Fokus auf Wachstum

Im Gegensatz zu den USA scheint sich der Anstieg der Erdgaspreise im Euroraum mit etwa 0,75 Prozent auf die Einkommen auszuwirken, was angesichts des "normalen" Wachstums der Haushaltseinkommen in dieser Region ein hoher Wert ist. Daher sind die Abwärtsrisiken für das Wachstum im Euroraum höher als in den USA, es sei denn, der Erdgaspreis sinkt in den nächsten Monaten weiter von seinem jüngsten Höchststand. In dieser Hinsicht haben sich die jüngsten Indikatoren trotz des starken BIP-Wachstums im dritten Quartal 2021 deutlich abgeschwächt. Dies gilt für einige Zahlen wie die deutsche Industrieproduktion, vor allem aber für das Geschäftsklima.
 
Das BIP-Wachstum war im dritten Quartal in allen wichtigen Euro-Ländern noch recht stark, wiederum im Gegensatz zu den USA. Der Rückenwind durch die Verbesserung der Mobilität war wahrscheinlich beträchtlich, aber diese Unterstützung ist nun fast vorbei. Vorteilhaft ist, dass das BIP im Euroraum noch immer eine sehr große Lücke aufweist, die es zu schließen gilt. Darüber hinaus waren bis vor kurzem die wichtigsten Fundamentaldaten für Unternehmensinvestitionen günstig, so etwa die jüngste Entwicklung der Gewinnspannen, die Höhe der Gewinne der Unternehmen sowie die Kreditbedingungen. Im derzeitigen Umfeld sind die kurzfristigen Zinssätze im Euroraum, wie auch in den USA, stark angestiegen. Doch wie die Fed wird sich auch die EZB auf das Wachstum und nicht auf die Inflation konzentrieren. In dieser Hinsicht sind die Abwärtsrisiken durch die Erdgaspreise im Euroraum, wie der jüngste Einkaufsmanagerindex bereits andeuten könnte, höher, und deshalb sind die Aufwärtsrisiken für die deutschen Renditen jetzt viel moderater.
Dr. Klaus Schrüfer ist Chief Market Strategist bei Santander Asset Management Germany.