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Die Gier ist meist der Treibsatz für die letzte Phase eines Hausse-Marktes. Seit 2009 stiegen zwar die Aktienmärkte nach dem tiefen Fall in Folge der Finanzkrise mehr oder weniger – aber die ultimative Gier fehlt an den Märkten. Eher könnte man angesichts der Nullzinspolitik von Verzweiflung sprechen. Trotzdem sollten wir uns darauf vorbereiten, dass über kurz oder lang auch die Gier wieder ins Spiel kommt. Gier ist ein negativ besetzter Begriff. Schon wenn Gordon Gekko im Film Wall Street behauptet, »Gier ist gut. Gier ist richtig. Gier ist gesund«, wissen wir, dass das nicht die Meinung des Mainstream ist.
 
Wertfrei betrachtet, ist Gier jedoch der starke Antrieb, seine Kräfte auf etwas ganz Spezifisches zu richten. Der Mensch denkt nicht nur an die augenblickliche Bedürfnisbefriedigung. Er denkt über den Tag hinaus, er will nicht nur heute, er will auch morgen und übermorgen satt und zufrieden sein.

Die Droge der erwarteten Gewinne

Gewinne – oder auch nur die Aussicht auf Gewinne – lösen beim Menschen neuronale Vorgänge aus, wie sie am ehesten mit denen beim Konsum von Kokain zu vergleichen sind. An der Börse sind sie jedoch ganz legal – überdies verdient der Staat bestens daran, für ein schlechtes Gewissen bleibt also wenig Raum. Seltsam ist jedoch, wenn wir den Gewinn dann tatsächlich in unsere Taschen stecken und unser Depot räumen, dann fühlen wir längst nicht die gleiche Begeisterung wie bei der Erwartung des Gewinns. Vorfreude ist die schönste Freude, ist da augenscheinlich der richtige Spruch.

Dabei sein ist alles

Heizen wir die Vorfreude kräftig an, heißt es an der Börse »Gier frisst Hirn« und »Euphorie trägt« – über den Abgrund müsste es richtig weiter heißen. Denn dann befinden wir uns in der eingangs erwähnten Endphase einer Hausse. Das rauschartige Vergnügen, das künftige Gewinne an der Börse in uns auslösen, verleitet uns nur allzu leicht dazu, Risiken in den Wind zu schießen und absurde Entscheidungen zu treffen. Oftmals geht es uns weniger um den tatsächlich erzielten Gewinn als vielmehr um das Mehr, das wir gegenüber unseren Nachbarn, Freunden, Bekannten, Kollegen erzielen können. Umgekehrt wollen wir keinesfalls zurückfallen und zusehen, wie die anderen uns überholen. Deshalb neigen wir dazu, bei steigenden Kursen noch auf den Zug aufzuspringen, denn auch wir wollen bei der Party dabei sein. Und wenn's schief läuft, teilen wir uns wenigstens den Kater.
 
Die Verbindung aus natürlicher Gier und der Rivalität gegenüber anderen erschwert unseren tatsächlichen Erfolg an den Kapitalmärkten. Wir legen eine Art von »rationaler Ignoranz« an den Tag. Ignorant, weil wir erkennbare Gefahren und Risiken ausblenden, rational, weil beim Abwägen aller Motive und Emotionen etwas Stabiles herauskommen sollte.

Gier ist ein Ausstiegssignal

Das Ergebnis: Der größte Fehler der aktiven Anleger – selbst der professionellen Händler – ist, dass die ganz überwiegende Mehrzahl bei hohen Kursen optimistisch und bei niedrigen Kursen pessimistisch ist. Die Empfehlung heißt aber: Bei allgemeinem Optimismus verkaufen, bei Pessimismus kaufen. Oder, um zurück zur Gier zu kommen: Wenn Sie gierig werden und Ihr Umfeld der Gier verfällt, dann sollten Sie intensiv über einen Verkauf nachdenken und sich nicht Ihren Gefühlen überlassen und kaufen.
Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent und Autor. In seiner Serie zeigt er die Fallen auf, in die wir Anleger so gerne hineintappen, und gibt Tipps, wie sie vermieden werden können.

Nachzulesen auch in Norbert Betz, Ulrich Kirstein:»Börsenpsychologie simplified«, 2. Auflage 2015
Das Buch befasst sich auf knapp 200 Seiten mit der Psychologie der Märkte und zeigt Anlegern an vielen Beispielen aus Theorie und Praxis, wie sie STUSS erkennen und vermeiden sowie mit dem STAR-Konzept zum Erfolg kommen können.