Europa muss verlässliche Partnerschaften eingehen

Michael Gollits, von der Heydt & Co. AG
Michael Gollits / Bild: von der Heydt & Co. AG
Europa sieht sich nicht nur einer militärischen Bedrohung Chinas und Russlands gegenüber, die  Supermächte setzen ihre Interessen auch auf dem Energie- und Technologiesektor durch. Dennoch will Europa weiter eine multilaterale Welt mit einer liberalen Weltordnung fördern. Das könnte sich als naiv erweisen. Die geplatzten Lieferketten und der Streit um Gaslieferungen sind Symptome für die schwierige Suche nach einer neuen Weltordnung.
In den vergangenen Jahrzehnten schien sich das Gegensatzpaar Kapitalismus und Kommunismus aufzulösen. Die Sowjetunion als Gegenpol zerfiel in Einzelstaaten, von denen sich die Mehrheit einer marktwirtschaftlich orientierten Demokratie zuwandten. China schien lange Zeit mit sich selbst beschäftigt zu sein. Dies änderte sich mit einer Staatsdoktrin, die mit klar gesetzten Grenzen durch das kommunistische Politbüro die Vorzüge eines freien unternehmerischen Engagements entdeckte. China, gestärkt durch seine wirtschaftlichen Erfolge, aber auch Russland mit seinen schier grenzenlosen Energiereserven treten zunehmend aggressiver auf und stiften Unruhe. Sie glauben, der Westen sei gespalten und geschwächt.

China weitet seinen politischen Einfluss in Richtung Europa aus

Zwar wird auch in Deutschland, Frankreich oder Italien in traditionellen Machtblöcken gedacht. Doch dies schließt in der europäischen Vorstellung nicht eine multilaterale Welt aus, die auf ähnlichen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vorstellungen beruht. In Europa pflegt man weiterhin die Idee, dass beide Welten vereinbart werden könnten. Jedoch mehren sich die Anzeichen, dass dies schwierig wird. Mit seinem wirtschaftlichen Aufstieg trat China auch wieder in das Rennen ein um einen Machtpol in einer neuen Weltordnung. Die Belt-and-Road-Initiative, auch als „Neue Seidenstraße“ bekannt, bot nicht nur die Möglichkeit, die US-Dollar-Einnahmen aus dem Exportgeschäft wieder auszugeben. Mindestens genauso wichtig war, den wirtschaftlichen und politischen Einfluss in Richtung Europa auszudehnen. Jüngst wurde vom EU-Beitrittskandidaten Montenegro bekannt, dass er sich von China den Bau einer Autobahn mittels Krediten aufschwatzen ließ. Nun ist Montenegro bei der Kredittilgung in Zahlungsschwierigkeiten geraten – so lassen sich Abhängigkeiten schaffen.
 
Das jüngste Verhalten Chinas und Russlands entlarvt Europas Vorstellungen einer Art Koexistenz von multi-polaren Machtblöcken und einer multilateralen Weltordnung auf Basis eines freiheitlichen Gedankens als naiv. China meldet mit seinen Militärübungen immer wieder den Anspruch auf die angrenzenden Meere an, während Russland den Raum der ehemaligen Sowjetunion beansprucht. Im Cyberraum tobt schon längst ein neuer Kalter Krieg. Unterdessen läuft ein technologisches Wettrüsten mit neuartigen Kampfdrohnen und interkontinentalen Hyperschallgleitern an.
 
Wie eine neue Weltordnung aussehen kann, zeigen derzeit zwei populäre Deutungen der aktuellen Entwicklung : Eine neue bi- oder multipolare Weltordnung, bei der die USA und China im Zentrum zweier neuer Machtblöcke stehen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron träumt offenbar davon, Europa zu einem weiteren Machtpol zu machen. Unter französischer Führung und mit Russland als Partner.
 
Dieses Modell könnte den Weg in eine Welt ebnen, die von einer puren Machtpolitik geprägt wird, die durch militärische Drohgebärden ausgefochten wird. Zu diesem Szenario passt, dass die Vorteile einer liberalen Demokratie, der Marktwirtschaft und des freien Welthandels vor allen in Europa immer wieder in Frage gestellt werden. Dabei ist Europa eine der Regionen, die neben den Schwellenländern möglicherweise am meisten von den Segnungen des freien Welthandels profitiert hat.

Europa muss seinen Platz in einer neuen Weltordnung besetzen

Das andere Modell denkt weniger in geografischen Räumen als in einer neuen Systemkonkurrenz. Auf der einen Seite stehen Staaten, die für eine freiheitliche, liberale Weltordnung eintreten. Auf der anderen Seite autokratische Systeme. Die erste Gruppe schließt sich zusammen, um gemeinsam Angriffen auf die Demokratie, Marktwirtschaft und einer gleichberechtigen internationalen Zusammenarbeit entgegen zu treten. Europa muss sich dringend auf diese Werte zurückbesinnen, eine eigene Stimme finden und sich gegen autoritäre Systeme klar abgrenzen. Insbesondere gilt es, in Abgrenzung zur wirtschaftlichen Großmacht China verbindliche Partnerschaften im asiatisch-pazifischen Raum zu bilden. Nur so kann vermieden werden, dass kostbare Ressourcen für einen sinnlosen Machtwettbewerb verschwendet werden. Die geplatzten Lieferketten und die Herausforderungen der Energieversorgung sind Symptome der geschwächten Position Europas. Angesicht der enormen Aufgaben für die Menschheit durch den Klimawandel wäre der Schaden eines teuren Machtkampfes der Systeme noch viel teurer.
Michael Gollits ist ist Vorstand der von der Heydt & Co. AG. Diese ist Portfolioadvisor des OVID Infrastructure HY Income Fonds und des OVID Asia Pacific Infrastructure Equity Fonds. Diese Strategien bieten liquiden Zugang zu Eigenkapital- und Fremdkapitalinvestments in Infrastruktur. Michael Gollits startete seine Karriere bei F&C Management Ltd in London. 1996 wechselte er zu einer deutschen Privatbank und war dort zuletzt als Bereichsleiter Wertpapiergeschäft verantwortlich für Kapitalmarktresearch, individuelles Vermögens-management und verantwortlicher Portfolio-manager einer Fondsfamilie. Von 2005 bis 2013 gestaltete er u.a. den Aufbau einer Privatbank in München und war als Geschäftsführer einer Hamburger Vermögensverwaltung für Kundenportfolios und gemischte Fonds mit Fokus auf Zukunftsthemen zuständig.