Dr. Ulrich Kater / Bild: Deka Bank
Über viele Jahre hinweg spielte die Entwicklung der Verbraucherpreise kaum eine Rolle in unserem täglichen Leben. Inflation war kein Thema. Dies hat sich zuletzt geändert. Tanken und Heizen sind spürbar teurer geworden, beim Einkauf im Supermarkt werden höhere Beträge fällig, die Bahn passt die Ticketpreise nach oben an – kurzum, in der Öffentlichkeit und in der Politik wird zunehmend mit Sorgenfalten auf die Preisentwicklung geschaut. Stehen wir vor einem beängstigenden Anspringen der Inflation? Müssen wir für den Rest der Zwanzigerjahre mit schmerzhaften Kaufkraftverlusten rechnen?
Notenbanken sehen keine Eile
Die Analysten weisen zwar zunehmend auf die gestiegene Unsicherheit hin. Doch für die Reaktion der Finanzmärkte auf die Inflationssorgen sind weniger die Analysten als vielmehr die Notenbanken und ihre Inflationseinschätzungen maßgeblich. Und diese halten an ihrer Einschätzung fest, dass die aktuell hohen Inflationsraten in erster Linie die Folge von Basis- und Sondereffekten und deshalb vorübergehender Natur sind. Diese Effekte sollten im kommenden Jahr sukzessive auslaufen. Mithin sehen die Notenbanken mittelfristig wieder wesentlich moderatere Preissteigerungen, sodass keinerlei Eile geboten zu sein scheint, die ultra-lockere Geldpolitik rasch aufzugeben und die monetären Zügel spürbar zu straffen.
Die Welle wird abebben
Im Lichte der jüngsten Konjunktur- und Preisdaten gehen wir weiterhin davon aus, dass die aktuelle Welle von höheren Inflationsraten wieder abebben wird, selbst wenn es noch eine Weile dauern könnte. Eine echte Inflationswelle mit dauerhaft hohen Raten erwarten wir nicht. Letzteres steht in unserem Risikoszenario. Für eine Inflationswelle bräuchte es Strukturbrüche, die grundsätzlicher und anhaltender wären, als es die wirtschaftlichen Verwerfungen von Angebot und Nachfrage in Form von Liefer- und Transportengpässen im Zuge der Corona-Pandemie sind. So bedürfte es etwa lang anhaltender Engpässe am Arbeitsmarkt, die wiederholte Lohnanpassungen nach oben nach sich ziehen würden. Auch Preiserhöhungen von Unternehmen müssten regelmäßig stattfinden, um eine Preis-Lohn-Spirale zu nähren – was nur bei deutlich geringer ausgeprägtem globalem Wettbewerb funktionieren würde.
Konstruktive Perspektive für Aktienmärkte
Deutlich wahrscheinlicher ist es aus unserer Sicht, dass in den kommenden Quartalen aufgrund der derzeit zu beobachtenden Preissteigerungen das Angebot stärker ausgeweitet wird und damit die gestiegene Nachfrage wieder bedient werden kann. Sowohl der Wettbewerbsdruck als auch der technische Fortschritt dürften weiterhin dafür sorgen, dass die Finanzmärkte auf eine Moderierung der Inflationsdynamik vertrauen. Vor diesem Hintergrund ändert sich aus Anlegersicht wenig: Die zinsarmen Zeiten bleiben erhalten, wohingegen die günstigen Finanzierungsbedingungen den konjunkturellen Aufholprozess weiter unterstützen. Auch wenn es in den kommenden Wochen an den Märkten ruckeliger werden könnte, bleibt die Perspektive für die Aktienmärkte konstruktiv.
Die wichtigsten Prognoserevisionen und Änderungen
- Bruttoinlandsprodukt: Abwärtsrevisionen USA (2021/2022) und Deutschland (2021); Aufwärtsrevisionen Euroland (2021/2022) und Deutschland (2022).
- Inflation Industrieländer: Aufwärtsrevision 2021/2022.
- Etwas höhere Renditen langlaufender Bundesanleihen.
- US-Notenbank Fed: Straffere Reduzierung der monatlichen Anleihekäufe, Leitzinswende schon Ende 2022.
- Abwärtsrevision des EUR-USD-Wechselkurses.
- Abwärtsrevision der Gold-Prognose. Aufwärtsrevision der Rohöl-Prognose.
- Abwärtsrevision der BIP-Prognosen für China und Indien; Aufwärtsrevisionen für Argentinien, Chile und Südafrika
Konjunktur Industrieländer
Deutschland
Die Liefer- und Transportengpässe schnüren die deutsche Industrie immer stärker ein. Inzwischen berichten fast 80 Prozent aller Industrieunternehmen von daraus resultierenden Produktionsbehinderungen – in der für Deutschland so wichtigen Automobilindustrie sogar 97 Prozent. In vielen Prognosen war lange Zeit noch unterstellt worden, dass sich diese Behinderungen zum Jahresende aufzulösen beginnen. Davon kann nicht mehr die Rede sein. Entsprechend haben die meisten Forschungsinstitute wie auch wir die Prognosen nach unten revidiert. Gleichzeitig nehmen die Chancen für das kommende Jahr zu, denn hohe Auftrags- und geringe Lagerbestände werden zusätzliche Produktionsimpulse geben, sobald sich die Engpässe verringern.
Prognoserevision: Bruttoinlandsprodukt 2021 bzw. 2022: 2,6 Prozent bzw. 4,6 Prozent (bisher: 3,2 Prozent bzw. 4,2 Prozen); Inflation 2021 bzw. 2022: 2,9 Prozent bzw. 2,1 Prozent (bisher: 2,8 Prozent bzw. 1,7 Prozent).
Euroland
Das europäische Bruttoinlandsprodukt hat im zweiten Quartal um 2,2 Prozent im Vergleich zum Vorquartal kräftig zugelegt. Die spürbare Erholung dürfte sich im dritten Quartal fortgesetzt haben. Darauf weisen die Stimmungsindikatoren der vergangenen drei Monate hin. Die bestehenden Probleme wie Lieferketteneinschränkungen und hohe Energiepreise werden erst im vierten Quartal zu einer spürbaren Verlangsamung der Konjunkturdynamik beitragen. Der Aufschwung wird begleitet von einer steigenden Inflationsdynamik. Die Inflationsrate in Euroland lag im September bei 3,4 Prozent. Unter den vier großen EWU-Ländern bewegte sich die Inflationsrate zwischen 4,1 Prozent in Deutschland und 2,7 Prozent in Frankreich. Dazwischen lagen Spanien und Italien mit 4,0 Prozent bzw. 3,0 Prozent.
Prognoserevision: Bruttoinlandsprodukt 2021 bzw. 2022: 4,9 Prozent bzw. 4,0 Prozent (bisher: 4,8 Prozent bzw. 3,9 Prozent); Inflation 2021 bzw. 2022: 2,3 Prozent bzw. 2,0 Prozent (bisher: 2,1 Prozent bzw. 1,6 Prozent).
USA
Die gesamtwirtschaftliche Aktivität hat im August überaus kräftig um 1,0 Prozent gegenüber dem Vormonat (mom) zugenommen. Allerdings wurde der Vormonatswert von +0,2 Prozent auf -0,5 Prozent mom erheblich nach unten revidiert. Seit April dieses Jahres ist das monatliche Bruttoinlandsprodukt im Durchschnitt lediglich um knapp 0,3 Prozent pro Monat angestiegen und damit wesentlich schwächer als gemeinhin erwartet worden war. Zwei Gründe sind hierfür verantwortlich: Die Dynamik der Abkühlung nach den erheblichen Fiskalschüben vom Januar und März dieses Jahres wurde unterschätzt. Hinzu kam ein Preisschub in einige wenigen Produktbereichen, der die reale Wachstumsdynamik spürbar verringert hat. Immerhin, dieser
transitorische Preiseffekt ist schon am Abebben.
Prognoserevision: Bruttoinlandsprodukt 2021 bzw. 2022: 5,6 Prozent bzw. 3,8 Prozent (bisher: 5,7 Prozent bzw. 3,9 Prozent); Inflation 2021 bzw. 2022: 4,2 Prozent bzw. 1,8 Prozent (bisher: 3,9 Prozent bzw. 1,7 Prozent).
Märkte Industrieländer
Rentenmarkt Euroland
Die an den Kapitalmärkten eingepreisten langfristigen Inflationserwartungen haben weiter zugenommen und strahlen mittlerweile auch auf die Leitzinserwartungen der Marktteilnehmer aus. Die daraus resultierende Versteilerung der Bundkurve dürfte sich zwar fortsetzen, dabei allerdings von zwei Faktoren gebremst werden. Erstens ist für das kommende Jahr mit wieder niedrigeren Inflationsraten zu rechnen, sodass sich die Aufwärtsbewegung der Inflationserwartungen verlangsamt. Zweitens dürfte die EZB weiterhin ihre Toleranz gegenüber einer temporär erhöhten Inflation hervorheben. Indem sie mittelfristig von Raten wieder unter 2 Prozent ausgeht, hält sie auch die Markterwartungen über zukünftige Leitzinserhöhungen in Grenzen. Zudem unterstreicht sie mit der langsamen Reduktion der Wertpapierkäufe des PEPP ihre vorsichtige Vorgehensweise.
Prognoserevision: Etwas höhere Renditen langlaufender Bundesanleihen.
Aktienmarkt Deutschland
Die Wirtschaft leidet nach wie vor unter den Lieferkettenproblemen, was sich zunehmend belastend auf die Stimmung der Unternehmen niederschlägt. Die Engpässe bei den Vorprodukten dürften sich in der ab Ende Oktober startenden Unternehmensberichterstattung zum abgelaufenen dritten Quartal bremsend ausgewirkt haben und sicherlich auch die Ausblicke für das vierte Quartal dämpfen. Allerdings findet durch die Engpasssituation keine Trendumkehr in der Geschäftstätigkeit statt, es handelt sich vielmehr um eine zeitliche Verschiebung in das Jahr 2022 hinein. Somit können die Unternehmen aktuell trotz der Stimmungsdelle recht entspannt sein, zumal das Preis- und damit auch das Profitabilitätsumfeld aufgrund der aufgestauten Nachfrage sehr gut ist. Die Gewinnperspektiven für das Jahr 2022 sind stabil aufwärtsgerichtet, der fundamentale Pfeiler für die Aktienmarktbewegung bleibt intakt und tragend. Kurzfristige Stimmungsstörungen können somit gut aufgefangen werden.
Dr. Ulrich Kater studierte
Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Göttingen und Köln. Promotion
1995 am Finanzwissenschaftlichen Lehrstuhl der Universität zu Köln,
daneben Lehr- und Forschungstätigkeit an der Universität Köln, der
Fachhochschule Köln und der European Business School. Von 1995 bis 1999
war Kater im Stab der »fünf Wirtschaftsweisen« für die Themen
Geldpolitik und Kapitalmarkt verantwortlich. Seit 1999 Mitarbeit am
Aufbau der Volkswirtschaftlichen Abteilung der
DekaBank,
seit 2004 Chefvolkswirt der DekaBank, Vorsitzender der Kommission
Wirtschaft und Finanzen im Verband Öffentlicher Banken seit 2006.
Weitere Lehraufträge an der Universität Witten-Herdecke und der Zeppelin
University Friedrichshafen. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen
zu den Themen Geldpolitik, Währungspolitik, internationale
Kapitalmärkte, Finanzpolitik, Alterssicherungssysteme und
internationaler Dienstleistungshandel, etwa: »100
Konjunkturindikatoren«, Cometis-Verlag, 2008, »Handbuch Europäische
Zentralbank«, Uhlenbruch-Verlag 2005.
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