Seehandel stößt an Kapazitätsgrenze

Michael Gollits, von der Heydt & Co. AG
Michael Gollits / Bild: von der Heydt & Co. AG
Laut der Welthandelsorganisation WHO finden 80 Prozent des globalen Warenhandels über die Meere statt. Aber durch die Corona-Pandemie wird dieser Transportweg in mehrfacher Hinsicht über seine Grenzen hinaus belastet. Die Folge sind explodierende Frachtkosten, die den Endverbraucher früher als gedacht erreichen werden. Auf der anderen Seite profitieren Logistik-Unternehmen, die Zugang zu begehrten Containern haben und Frachtrouten noch bedienen können.
2020 waren leergeräumte Regale mit Toilettenpapier das Symbol der Corona-Krise. Heute sind die Lücken unauffälliger. In Europa fehlen Anchovis aus Peru, während amerikanische Feinschmecker Oliven aus Europa vermissen. Die Corona-Krise hat sich tief in das Rückgrat der Globalisierung, die maritimen Handelsrouten, eingegraben. Einen 40-Fuß-Container von Shanghai nach Rotterdam zu verschiffen, kostet laut dem Seehandels-Consultant Drewry derzeit rund 600 Prozent mehr als im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. In einigen Fällen sind die Preise sogar auf das zehnfache des Vorjahresniveaus gestiegen. Diese Entwicklung dürfte nun auf die Anschaffungskosten von beispielsweise Spielzeug, Autoteile, Kaffee, Zucker oder auch Möbel durchschlagen. In den vergangenen 40 Jahren habe es keine vergleichbar fordernde Situation im Spielzeughandel geben, sagte der Gründer der britischen Spielwaren-Kette „The Entertainer“ in einem Interview. Er verzichtet derzeit auf den Import riesiger Teddybären aus China, weil er sonst seinen Verkaufspreis verdoppeln müsste.

Der auf Effizienz getrimmte Seehandel bietet kaum Spielraum für Änderungen der Lieferströme

Die Ursachen dieser Kostenexplosion sind vielfältig. Da ist zunächst ein über die Jahre auf maximale Effizienz getrimmtes Seehandels-System, das kaum Spielraum bietet, um auf Veränderungen der Lieferströme zu reagieren. Unterstützungszahlen an private Haushalte haben künstlich die Konsumnachfrage befeuert, die wegen des stagnierenden Angebots in der westlichen Welt nur aus Asien gedeckt werden kann. Gleichzeitig fehlen Container, Häfen sind verstopft, es mangelt an Seeleuten und Hafenarbeitern. Dazu kommt, dass die Corona-Pandemie die Lieferketten weiter gefährden könnte. Weltweit arbeiten rund 1,6 Millionen Menschen in der Seefahrt. Mehr als die Hälfte von ihnen stammt aus Schwellenländern wie Indien, den Philippinen oder Indonesien. Sie sind auf die dortigen Impfprogramme gegen das Corona-Virus angewiesen. Nach Schätzung des Internationalen Schifffahrtskammer ICS sind gerade mal 2,5 Prozent der Seefahrer weltweit geimpft. Corona-Ausbrüche haben somit ein leichtes Spiel, um auf hoher See oder in Häfen die Arbeit stillzulegen.
 
Veränderungen in der Auslastung der Routen in der Corona-Krise führten zudem zu einer Knappheit bei Containern. Laut dem Informationsdienst Container XChange sind 24 Millionen Stück im Umlauf. Im Jahr absolvieren diese beladen 170 Millionen Reisen und weitere 55 Millionen Reisen im Leerzustand. Corona hat durch die zeitlich verschiedenen Lockdowns zu extremen Verschiebungen bei der Nachfrage und dem Angebot von Waren geführt. Die schnell anziehende Nachfrage nach der Lockerung der Lockdowns in den USA hat im vergangenen Jahr die dortige Transportinfrastruktur überlastet. Aufgrund von Krankheitsfällen und des hohen Transportaufkommens, konnten Waren in den Häfen nur mit Verspätungen gelöscht werden. Container-Lager sind überlastet, weil die Waren nicht per LKW oder Eisenbahn die Weiterreise antreten konnten. Die Havarie eines Container-Schiffes im Suez-Kanal hat zwar medial große Wirkung entfaltet, war aber nur das Tüpfelchen auf dem „i“ eines längst überlasteten Systems.

Die gestiegenen Frachtraten sind auch das Ergebnis einer langen Konsolidierung

Wir sehen in naher Zukunft keinen merklichen Rückgang der Frachtkosten. Zwar werden neue Container und auch Schiffe gebaut, doch dies braucht Zeit und Rohstoffe - die auch auf dem Seeweg transportiert werden. Die Zahlen des französischen Container-Logistik-Unternehmens CMA CGM verdeutlichen, was das für die Branche bedeutet. Im ersten Quartal 2021 wurde ein Nettogewinn von 1,75 Milliarden Euro verzeichnet. Vor einem Jahr waren es nur 43 Millionen Euro. Das Unternehmen rechnet mit weiterer starker Nachfrage.
 
Die aktuell gestiegenen Frachtkosten sind dabei nicht zuletzt auch das Ergebnis einer langen Konsolidierung der Schifffahrtsbranche. Schiffe wurden ausgemustert, die Kapazitäten knappgehalten, dafür deren Nutzung bis aufs Letzte optimiert. Es wäre allerdings fahrlässig, jetzt durch viele neue Schiffe die Kapazitäten zu erhöhen. Denn dann droht unter Umständen ein sogenannter „Schweine-Zyklus“, wenn sie zu spät vom Stapel laufen und Corona dann wieder Geschichte ist. Für Produzenten großer, nicht besonders werthaltiger Waren wird es attraktiver die Lieferketten zu verkürzen. Und letztlich bleibt die Hoffnung, dass ein Ende der Lockdowns die Balance wieder herstellt und die Produktion in anderen Teilen der Welt wieder hochgefahren wird. Denkbar ist auch, dass der Preisauftrieb nur langsam abklingt,  da einmal erhöhte Preise nicht im gleichen Tempo gesenkt werden.
Michael Gollits ist Vorstand von der Heydt & Co. AG und Portfolioadvisor des OVID Infrastructure HY Income Fonds. Der Fonds strebt die Erzielung einer attraktiven laufenden Ausschüttung bei möglichst gleichzeitiger Wertstabilität an. Michael Gollits startete seine Karriere bei F&C Management Ltd, in London. 1996 wechselte er zu einer deutschen Privatbank und war dort zuletzt als Bereichsleiter Wertpapiergeschäft verantwortlich für Kapitalmarktresearch, individuelles Vermögensmanagement und verantwortlicher Portfoliomanager einer Fondsfamilie. Von 2005 bis 2013 gestaltete er u.a. den Aufbau einer Privatbank in München und war als Geschäftsführer einer Hamburger Vermögensverwaltung für Kundenportfolios und gemischte Fonds mit Fokus auf Zukunftsthemen zuständig.