Die Rückkehr zur Normalität?

Thomas Metzger, Bankhaus Bauer
Thomas Metzger / Bild: Bankhaus Bauer
Am 11. März 2020 wurde das Virus SARS-CoV-2 offiziell als Pandemie eingestuft. Seitdem sind rund 16 Monate vergangen und es hat den Anschein, dass die Welt langsam wieder zur Normalität und einem Leben „mit dem Virus“ zurückkehren würde. In den USA sind mittlerweile 47 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft und auch in Deutschland scheint der Immunisierungsprozess mittlerweile an Fahrt zu gewinnen. Allerdings sorgen Mutationen der Krankheit – aktuell vor allem die sogenannte Delta-Variante – für neue Herausforderungen in der Pandemiebekämpfung. Es bleibt also abzuwarten, wie sich das Virus weiterentwickelt, welche Wirksamkeit die bisherigen oder potenziell neuen Impfstoffe aufweisen und ob uns letztendlich eine „vierte Welle“ erspart bleibt.

Aktien mit positiver Entwicklung

Während unser Alltag im ersten Halbjahr noch weitestgehend eingeschränkt war und die weltweite Verbreitung des Corona-Virus nur bedingt in den Griff bekommen wurde („dritte Welle“, Eskalation in Indien, etc.), entwickelten sich die globalen Aktienmärkte seit der Zulassung der ersten Impfstoffe Ende 2020 sehr erfreulich. Zwar ließ die Aufwärtsdynamik in Europa und den USA in den letzten Wochen etwas nach, jeder Anflug einer Korrektur wurde (bislang) jedoch für weitere Käufe genutzt, sodass sich die Leitindizes aktuell auf oder zumindest in unmittelbarer Schlagdistanz zu ihren Höchstständen befinden. Asiatische Aktien entwickelten sich demgegenüber zuletzt etwas schwächer.

Sektor-Rotation im ersten Halbjahr

Mit Blick auf die einzelnen Sektoren war eine relative Stärke von sogenannten Pandemie-Verlierern erkennbar, welche von einer Rückkehr zur Normalität überdurchschnittlich profitieren dürften (u. a. zyklischer Konsum, Rohstoffe, Banken). Technologiewerte, in den letzten Jahren mit der besten Entwicklung aller Sektoren, neigten hingegen zumindest vorübergehend zur Schwäche und verzeichneten – gemessen am NASDAQ – sowohl von Mitte Februar bis Anfang März als auch von Ende April bis Mitte Mai bereits zwei Korrekturbewegungen von elf bzw. sieben Prozent. Diese waren getrieben von den anhaltenden Diskussionen um schnellere Zinserhöhungen durch die US-Fed und damit einhergehende Verkäufe bei Wachstumswerten. Mittlerweile befindet sich jedoch auch der US-Technologieindex wieder auf seinem Allzeithoch und weist mit 12,9 Prozent nur eine marginal schwächere Rendite seit Jahresbeginn auf als sein „großer Bruder“, der S&P 500.

Erwartete Konjunkturerholung mit Risiken

Ein wesentliches Risiko für die Aktienmärkte ist die mögliche Verzögerung der konjunkturellen Erholung durch eine erneute Eskalation der Corona-Pandemie. Zwar weisen die aktuell zugelassenen Impfstoffe nach bislang vorliegenden Daten auch gegen die Delta-Variante eine gute Wirksamkeit auf, allerdings gilt dies erst nach der vollständigen Impfung (bei den meisten Impfstoffen also erst nach zwei Dosen). Eine weitere Gefahr stellt zudem die aktuelle Knappheit (und die damit stark steigenden Preise) einzelner Rohstoffe und Basisprodukte sowie von Frachtcontainern dar. Diese führen bereits teils zu Verzögerungen in den Lieferketten (Stichwort „Chip-Knappheit in der Automobilindustrie“) und hemmen somit den wirtschaftlichen Aufschwung. Für die Entwicklung an den Finanzmärkten haben diese Risiken jedoch auch eine positive Seite: Je fragiler die wirtschaftliche Situation bleibt, desto weiter dürften die Notenbanken weltweit eine restriktivere Geldpolitik in die Zukunft verschieben. Selbstverständlich müssten sich die negativen Einflüsse hinsichtlich der Dauer und des Umfangs in gewissen Grenzen halten. Mit zunehmender Verzögerung der wirtschaftlichen Erholung steigt das Insolvenzrisiko, vor allem bei bilanziell weniger soliden Unternehmen und von der Situation überdurchschnittlich getroffenen Branchen. Allerdings haben die letzten Monate bereits gezeigt, dass sich die Finanzmärkte durch die aktuell extrem expansive Geldpolitik durchaus von der wirtschaftlichen Entwicklung abkoppeln können.

Anhaltende Inflationsdiskussion

Ein weiteres, unter Investoren bereits im ersten Halbjahr viel diskutiertes Thema, ist das (vermeintliche) Risiko einer steigenden Inflation. Rein fundamental betrachtet teilen wir die damit verbundenen Sorgen mancher Marktteilnehmer nicht. Zunächst ist hervorzuheben, dass ein Inflationsanstieg in den meisten Fällen auch mit einem Wachstum der Wirtschaft einhergeht. Eine „Stagflation“, also die Geldentwertung bei gleichzeitig konjunkturellem Stillstand, ist zwar sicherlich ein negatives, jedoch unseres Erachtens ein gleichzeitig unwahrscheinliches Szenario für die globalen Finanzmärkte. In unserem Basisszenario erwarten wir vielmehr eine steigende, allerdings nicht ausufernde Inflation, begleitet von einer konjunkturellen Erholung. In diesem Umfeld sollten demnach auch die Umsätze der Unternehmen wachsen. Wichtig wäre demnach, dass die Unternehmen die Inflation auch an ihre Kunden weitergeben können und somit nicht nur ihre Umsätze, sondern auch ihre Gewinne steigern können.

Begleiterscheinungen der Preissteigerung

Während wir eine möglicherweise steigende Inflation fundamental betrachtet nicht als nachhaltigen Risikofaktor betrachten, könnte sie an den Aktienmärkten dennoch temporär zu erhöhten Schwankungen und kurzfristigen Korrekturbewegungen führen. Der Grund hierfür dürfte weniger eine strategische Umschichtung der Investoren von Aktien in Anleihen sein, da sich die relative Attraktivität letzterer, in Zukunft nicht wesentlich verbessern dürfte. Als Gefahr sehen wir vielmehr in der Breite weniger präsente und zudem auch nur schwierig zu prognostizierende Faktoren. So befinden sich beispielsweise die Aktienrückkäufe der US-Unternehmen auf einem Rekordhoch. In vielen Fällen gehen diese sogar einher mit einer steigenden Verschuldung. Im aktuell niedrigen Zinsumfeld, so die Devise der Unternehmen, werden eher Anleihen begeben (oder anderweitig Schulden aufgenommen), als die Aktienrückkäufe zurückzufahren. Im Fall einer restriktiveren Geldpolitik, welche in den USA in den nächsten Jahren zu erwarten ist, dürfte diese Rechnung mit jeder Zinserhöhung weniger vorteilhaft sein, was in der Konsequenz zu einem Rückgang der kursstützenden Aktienrückkäufe führen könnte.
 
Doch nicht nur Unternehmen nutzen das niedrige Zinsniveau zum Kauf von Aktien, auch viele Investoren leihen sich auf der einen Seite Geld, um dieses auf der anderen Seite anzulegen. So befinden sich die kreditfinanzierten Aktienkäufe in den USA ebenfalls auf einem Allzeithoch. Ähnlich wie bei den Aktienrückkäufen der Unternehmen, dürfte diese Methode umso riskanter und weniger profitabel werden, je höher das Zinsniveau steigt. In diesem Fall besteht zudem das Risiko von verstärkt einsetzenden „Margin Calls“: Sollten die Aktienmärkte, beispielsweise aufgrund eines Rückgangs der kreditfinanzierten Käufe oder aber aus anderen Gründen, korrigieren, so sinkt auch der Wert der Sicherheiten, welche für ebendiese Kredite gestellt werden müssen. Sinkt der Wert unter die Mindestschwelle, so muss ein Investor weitere Wertpapiere verkaufen, um die Sicherheiten zu erhöhen. Weitere Verkäufe führen in der Masse jedoch wiederum zu Kursrückgängen – eine Negativspirale beginnt.

Aktien nach wie vor interessant

Im aktuellen Umfeld erachten wir Aktien insgesamt weiterhin als attraktivste Anlageklasse. Gleichzeitig scheinen kleinere, kurzfristige Korrekturbewegungen zunehmend wahrscheinlich und zudem auch durchaus gesund hinsichtlich der langfristigen Marktentwicklung. Temporäre Schwächen sehen wir dementsprechend als Chance zur erneuten Erhöhung der Aktienquote.
Thomas Metzger (42) ist seit 13 Jahren Leiter Vermögensverwaltung beim Stuttgarter Bankhaus Bauer. Bereits zuvor war er im Portfolio Management, Wertpapierhandel und Aktien-Research sowie für mehrere Banken in den USA tätig. Zusätzlich doziert er an mehreren Hochschulen zu den Themengebieten Portfolio Management und derivative Finanzinstrumente. Bei einem breiten Publikum hat sich Metzger durch seine zahlreichen TV-Interviews, Fachbeiträge etc. einen Namen als Investmentspezialist gemacht.

Im Artikel erwähnte Wertpapiere

UC S&P 500 5.253,09 N.A.
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