Flugtaxis heben ab: Die große Wette auf den nächsten Mega-Markt

Adrian Roestel, Huber, Reuss & Kollegen Vermögensverwaltung
 
Adrian Roestel / Bild: Huber, Reuss & Kollegen Vermögensverwaltung
Die Nachricht war eine kleine Sensation: Anfang April gab der bayerische Flugtaxi-Entwickler Lilium Aviation bekannt, dass er mit einem US-amerikanischen Börsenmantel (Spac) verschmelzen und noch im ersten Halbjahr den Börsengang an der Technologiebörse Nasdaq anstreben werde. Aus dem Stand ist die Firma aus der Nähe von München damit 2,8 Milliarden Euro wert. Nun werden Investoren gesucht, die das Projekt bis zur Serienreife finanzieren. Lilium ist nicht das erste Flugtaxi-Unternehmen, das via Spac an die Börse geht. In den vergangenen Monaten haben sich bereits zwei US-Konkurrenten an der Nasdaq listen lassen, weitere dürften folgen.

Urban Air Mobility - Der nächste Mega-Markt

Dem Geschäft mit „Urban Air Mobility“ (UAM) wird ein enormes Potential vorausgesagt. Auf 1,5 Billionen US-Dollar taxieren Studien den Markt, möglicherweise aber auch bis zu drei Billionen. Zum Vergleich: Der jährliche globale Automarkt ist aktuell 2,3 Billionen Dollar groß. Dank schwenkbarer Propeller können Flugtaxis wie Hubschrauber senkrecht starten und landen, während sie im Reisemodus wie ein Kleinflugzeug dahinschweben. Die eVTOL („electric vertical take-off and landing“), wie die Miniflieger im Branchenjargon auch genannt werden, sollen überall dort zum Einsatz kommen, wo der direkte Weg durch die Luft viel Zeit erspart. Dies gilt für große Metropolen, aber auch für ländliche Regionen mit einer schlecht ausgebauten Infrastruktur, Inseln oder im Gebirge. Weitere Einsatzmöglichkeiten werden beim Militär und in der Luftfracht (Cargo) gesehen.

In der Anfangsphasen werden Piloten die Elektroflieger steuern. Entscheidend wird dann der Schritt zum autonomen Fliegen sein. Da ohne Piloten die Kosten viel niedriger sind wird der vollautomatische Betrieb als maßgeblich gesehen, urbane Luftmobilität für die Massen erschwinglich und zugänglich zu machen. Der Start in den Massenmarkt wird in zehn bis 15 Jahren erwartet.
Im Vergleich zum autonomen Fahen gilt das vollautomatische Fliegen als deutlich weniger komplex, zumal Passagierflugzeuge heute schon viele Jahre per Autopilot von A nach B fliegen können, inklusive Start und Landung.

100 Flugtaxi-Projekte in der Entwicklung

Angesichts dieser Aussichten ist es kein Wunder, dass das Interesse an dem neuen Megamarkt groß ist. Weltweit wird an mehr als 100 Flugtaxi-Projekten getüftelt. Die Konzepte reichen von kleinen Zweisitzern mit vier Rotoren, die nur 40 Kilometer weit fliegen können, bis hin zu fast schon flugzeugähnlichen Modellen, die mit 36 Propellern 280 Stundenkilometer schnell sind und eine Reichweite von 250 Kilometern haben. Entsprechend verschieden sind die Einsatzmöglichkeiten. Manche konzentrieren sich auf den schnellen Transport auf kurzen Strecken, andere haben weitere Entfernungen im Sinn. Lilium zum Beispiel will seine bis zu sechs Personen fassenden Elektrojets zwischen benachbarten deutschen Großstädten einsetzen, die nicht mit dem ICE verbunden sind. Allen EVTOL gleich ist, dass sie elektrisch betrieben werden, in der Regel auf der Grundlage modernster Batterietechnologie. Vereinzelt wird aber auch auf Wasserstoff als Antriebsquelle gesetzt.

Investitionen in den neuen Markt

Global agierende Großkonzerne aus den Sektoren Luft- und Raumfahrt, Automobil, Mobilität und Technologie investieren bereits Milliarden in den neuen Markt. Viele von ihnen haben sich bei Start-ups beteiligt und bringen dort Know-how ein, das den Jungunternehmen fehlt. Auch deutsche Konzerne haben einen Fuß in der Tür. So ist ein großer deutscher Autobauer aus Baden-Württemberg bei einem anderen, ebenfalls vielversprechenden Flugtaxi-Projekt aus Deutschland engagiert. Interessant ist die Vereinbarung zwischen einem koreanischen Autobauer und einem US-Mobilitätsdienstleister. Sie sieht vor, dass der Autohersteller die Flugtaxis bauen soll, während die Amerikaner für das Ridesharing (Buchung und Abwicklung), die passenden Verkehrsverbindungen auf der Erde und die Kundenbeziehung verantwortlich sind. Ideen zur Infrastruktur für Start und Landung der Flugtaxis wollen beide Partner gemeinsam erarbeiten.

In welchen Kategorien zum Teil gedacht wird zeigen die Aussagen eines großen japanischen Autobauers, der fast 400 Millionen US-Dollar in die EVTOL-Entwicklung investiert. Er will eigenen Aussagen zufolge „das Transportwesen und das Leben der Zukunft revolutionieren“. Superreiche Tech-Milliardäre, die als Gründer von Internetkonzernen reich geworden sind, haben „Urban Air Mobility“ ebenfalls als neue Spielwiese entdeckt. Gegen eine Beteiligung finanzieren sie Start-ups und helfen mit ihrem Netzwerk.

Noch viele Hürden zu überwinden

Trotz all dieser ambitionierten Pläne ist klar: Bis die ersten Miniflieger serienreif sind und im Regelbetrieb über unseren Köpfen dahinsurren, werden noch Jahre vergehen. Zwar bauen einige Unternehmen darauf, ab 2025 die ersten Fluggäste begrüßen zu dürfen, doch solche Pläne gelten als optimistisch. Bis Behörden die Flugtaxis zertifiziert und zugelassen haben, sind noch viele Hürden zu meistern. Die Belastung der Materialen, die Zuverlässigkeit der Elektropropeller, der absolut verlässliche Einsatz von elektrischen Ersatzkreisläufen im Notfall oder die Kompromisse, die beim Weg vom Prototyp zum Serienmodell eingegangen werden müssen, sind Themen, die viele EVTOL-Firmen beschäftigen. Oft zeigt sich auch, dass technikbegeisterte Start-up-Gründer an ihre Grenzen kommen, wenn Themen wie Vertrieb, Produktion, Marketing oder Rentabilität dazustoßen. Um viele Start-ups ist es deshalb auffallend still geworden.

Zukunftsorientierte Vermögensverwalter sollten die Entwicklung genau beobachten. Sollten sich die Prognosen bewahrheiten und sich der Flugtaxi-Markt zu einem globalen Geschäft aufschwingen, werden in den kommenden Jahren interessante Investmentmöglichkeiten zu sehen sein. Zuvor muss aber abgewartet werden, wo sich die Spreu vom Weizen trennt. Für konkrete Investments ist es noch zu früh.
Von Adrian Roestel ist Leiter Portfoliomanagement bei Huber, Reuss & Kollegen Vermögensverwaltung