Zunehmender Wettbewerb zwischen den USA und China ist zu erwarten

Sven Schubert, Vontobel Asset Management
Sven Schubert / Bild: Vontobel Asset Management
  • Bemühungen Chinas, sich Lieferketten und den Zugang zu strategisch wichtigen Ressourcen zu sichern, dürften die aggressive chinesische Außenpolitik kaum mindern
  • Der Machtkampf zwischen den USA und China dürfte künftig mit geringeren Disruptionen für die Weltwirtschaft einhergehen, als es beim Handelskrieg der Fall war
  • Die Bildung einer Tech-Allianz unter der Führung der USA zur Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit westlicher Industrienationen scheint nur noch eine Frage der Zeit
Die ersten 100 Amtstage von US-Präsident Joe Biden haben deutlich gemacht, dass die USA China im Hinblick auf die digitale Vorherrschaft weiter mit Argusaugen beobachten werden. China dagegen wird wohl weiter an seiner Strategie des doppelten Wirtschaftskreislaufs (Dual Circulation) festhalten. Beide Entwicklungen führen tendenziell zu einem weiteren Auseinanderdriften der Wirtschaftssysteme und höheren Barrieren für die globale Zusammenarbeit. Das beste Beispiel hierfür ist der globale 5G-Rollout von Huawei, der in Großbritannien und Australien aufgrund der Intervention durch die USA bereits gestoppt wurde und möglicherweise in vielen EU-Ländern verhindert wird, obwohl westliche Unternehmen nicht in der Lage sind, eine Telekommunikationsinfrastruktur in ähnlicher Qualität wie Huawei bereitzustellen.

Chinas aggressive Außenpolitik hält an

Die chinesische Strategie der zwei Kreisläufe gliedert sich in einen internen und einen externen Wirtschaftskreislauf. Über den externen Wirtschaftskreislauf bleibt China offen für ausländische Investoren und Unternehmen. Die Aufnahme chinesischer Anleihen in globale Indizes und das Projekt des digitalen Yuan sind ein klarer Beleg für das Interesse des Landes, ausländisches Kapital zu gewinnen und den Yuan auf internationaler Ebene als weitere Leitwährung zu etablieren, das sich jedoch nicht von ausländischen Lieferketten abhängig machen will.
 
Die Strategie umfasst daher auch einen internen Kreislauf. Diesem zufolge strebt China nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit mithilfe regionaler Allianzen in Bezug auf Produkte und Ressourcen, die Relevanz für seine nationale Sicherheit besitzen. Dies betrifft in allererster Linie Halbleiter, da China nach wie vor mehr als die Hälfte seines Bedarfs an Halbleitern für die Herstellung von Computerchips importieren muss. Angesichts der Bemühungen Chinas, sich Lieferketten und den Zugang zu strategisch wichtigen Ressourcen zu sichern, dürfte sich die aggressive chinesische Außenpolitik in den nächsten Jahren wohl kaum abschwächen. Chinas verstärkte militärische Präsenz im Südchinesischen Meer belegt die Absicht des Landes, seine über die Initiative der Neuen Seidenstraße erschlossenen Vermögenswerte sowie seine Handelsrouten bei Bedarf militärisch zu verteidigen. Die feste Absicht zur Integration Taiwans, des weltweit führenden Halbleiterproduzenten, in das festlandchinesische System stellt wahrscheinlich eines der größten geopolitischen Risiken der kommenden Jahre dar.

Die Weltordnung der Nachkriegszeit neigt sich zum Ende

Die  in jüngster Zeit aggressiver werdende Außenpolitik Chinas ist in diesem Zusammenhang sicherlich als Ausdruck der Auffassung der kommunistischen Partei des Landes zu werten, dass sich die Weltordnung der Nachkriegszeit mit der Vormachtstellung der USA allmählich dem Ende zuneigt. Die Präsidentschaft von Donald Trump hat sicherlich nicht dazu beigetragen, dieser Sicht entgegenzuwirken. Die meisten seiner politischen Entscheidungen, wie der Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO), haben die Glaubwürdigkeit der USA als globale Führungsmacht untergraben und zur Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft beigetragen. Darüber hinaus hat sein politisches Handeln nicht nur die USA selbst destabilisiert, sondern durch die Infragestellung der North Atlantic Treaty Organization (NATO) auch die Allianzen mit westlichen Demokratien. Diese Entwicklungen haben die Einschätzung innerhalb der kommunistischen Partei Chinas gestärkt, dass sich die USA im Niedergang befinden, was wiederum zu einer selbstbewussteren Außenpolitik geführt hat, die auch in einer Verschärfung der Kontrolle des Landes über Hongkong als Sonderverwaltungszone gipfelte – ungeachtet aller Kritik aus dem Westen.

Biden will «natürliche» Allianzen wiederaufbauen

US-Präsident Joe Biden hat bereits mit der Erfüllung seines Wahlversprechens begonnen, indem er die von Amtsvorgänger Donald Trump beschädigten natürlichen Allianzen zu reparieren versucht. Statt sein erstes virtuelles internationales Gipfeltreffen mit den wichtigsten Handelspartnern der USA, wie Kanada, Mexiko oder der EU, abzuhalten, traf sich Präsident Biden mit der sogenannten Quad, einer informellen Gruppe von Ländern, bestehend aus den USA, Japan, Indien und Australien, die gemeinsame Sicherheitsinteressen im indopazifischen Raum verfolgen. Interessanterweise haben sich US-amerikanische und japanische Unterhändler bereits persönlich getroffen und die Stationierung von US-Truppen in Japan vereinbart. Diese Gespräche waren unter der Trump-Regierung zum Erliegen gekommen, da dieser eine größere Kostenbeteiligung Japans verlangt hatte. Das Ziel einer Stärkung der Quad-Gruppe auf militärischer Ebene oder durch Infrastrukturinvestitionen ist klar: Die USA wollen die Hemmschwelle Chinas für die Umsetzung seiner aggressiven Außenpolitik in der Region erhöhen. Selbst die Unterstützung Taiwans, das China als Teil seines Hoheitsgebiets betrachtet, wird in Washington erörtert.

Die USA wollen ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken

Im Gegensatz zu Donald Trump, der auf eine angriffslustige Taktik setzte, dürfte Joe Biden eher einen Konsens mit seinen Verbündeten anstreben, bevor er sich an den Verhandlungstisch mit China setzt. Daher dürfte der Machtkampf zwischen den USA und China künftig mit geringeren Disruptionen für die Weltwirtschaft einhergehen als dies zum Höhepunkt des Handelskriegs der Fall war.
 
Die Dominanz Chinas in Bereichen wie Gesichts- und Spracherkennung, 5G, digitale Zahlungslösungen, Quantenkommunikation sowie am Markt für gewerbliche Drohnen lässt im US-Kongress die Alarmglocken läuten. Joe Bidens Infrastrukturplan im Umfang von 4 Billionen US-Dollar hat womöglich nicht das Ausmaß des Research Program von Präsident Eisenhower in den 1950er Jahren, das darauf ausgelegt war, die Konkurrenz durch die Sowjetunion abzuwehren. Er verfolgt jedoch einen ähnlichen Kurs: Die USA wollen ihre Position im Rivalitätskampf mit China auf der Ebene neuer Technologien stärken und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes verbessern.

Mögliche Tech-Allianz unter Führung der USA

In der heutigen globalisierten Welt, die sich auf gemeinsame und eng verzahnte Lieferketten stützt, könnte ein multinationaler Ansatz zur Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China erfolgreicher sein als die Konzentration auf die heimische Industrie und Infrastruktur. Jared Cohen und Richard Fontaine, zwei ehemalige Mitarbeiter des US-Außenministeriums, scheinen diese Meinung zu teilen und plädieren für den Zusammenschluss gleichgesinnter, auf die technologische Entwicklung ausgerichteter Demokratien (Techno-Democracies) in einer clubähnlichen Tech-Allianz, um gemeinsame Reaktionen auf die derzeitigen digitalen Herausforderungen zu erarbeiten. Ihrer Ansicht nach wären die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Japan, Australien, Kanada, Finnland, Schweden, Indien und Israel natürliche Kandidaten für einen möglichen T-12-Club. Allerdings müssten diesem Club zahlreiche Länder beitreten, damit ein glaubwürdiges Gegengewicht zu China erreicht werden kann. 
 
Das wichtigste Ziel dieser Allianz wäre die Festlegung von Standards für die Nutzung neuer Technologien sowie ein gemeinsamer Ansatz beim Thema Datenschutz und Datensicherheit. Ein Verständnis der Differenzen untereinander und eine Konsensfindung innerhalb einer solchen T-12-Gruppe würden einen koordinierten Ansatz ermöglichen, unter anderem durch Exportkontrollen für Güter wie Überwachungstechnologie, die zur Unterdrückung regionaler Minderheiten eingesetzt werden kann. Ein weiterer maßgeblicher Faktor wäre das Teilen von Informationen bezüglich der Logistik und Sicherheit von Lieferketten.
 
Für viele Produkte mag eine Neuorganisation der Lieferketten kontraproduktiv sein, doch in einigen Bereichen, wie beispielsweise bei seltenen Werkstoffen oder Halbleitern, könnte sie sinnvoll sein. So hat die Konsolidierung der Halbleiterfertigung zu einer Konzentration der Produktionsstätten in Asien geführt. Heute sind über 70 Prozent der Produktionsstätten für hochwertige Halbleiter auf dem asiatischen Kontinent angesiedelt. Das weltweit führende Unternehmen in dieser Branche ist TSCM, das seinen Sitz in Taiwan hat. Und schließlich wäre auch die Koordination von Investitionen und Forschungsprojekten in Bereichen mit kritischer Relevanz für die nationale Sicherheit von großem Vorteil. Aufgrund der chinesischen Dominanz im Sektor für Telekommunikationsanlagen sollte ein multinationales Projekt für ein 5G-Netz daher ganz oben auf der Agenda stehen. Unternehmen wie Ericsson oder Nokia könnten federführend bei solchen zukünftigen F&E-Projekten sein.
 
Ein T-12-Club stellt ein völlig neuartiges Konzept dar und scheint derzeit noch in weiter Ferne. Dennoch würde eine solche Vereinigung effizientere Ressourcennutzung ermöglichen und die Chancen der westlichen Länder erhöhen, im technologischen Machtkampf zwischen den USA und China als Gewinner hervorzugehen. Darüber hinaus würde er weitere Impulse für die Produktivität und das Wachstum in den Industrieländern liefern.
Sven Schubert ist Senior Investment Strategist bei Vontobel Asset Management
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