Benjamin Melman, Edmond de Rothschild AM

Kapitalflucht aus den USA – Schwellenländer und Europa profitieren

Die Kombination aus US-Handelspolitik, Staatsdefizit und Kapitalflucht ist gefährlich. Anleger sollten sich auf europäische Aktien und Emerging Markets konzentrieren. Besonders Deutschland spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Benjamin Melman, Edmond de Rothschild AM

Die US-Regierung propagiert die Idee, dass die protektionistische Phase um den 4. Juli herum enden und sie sich anschließend auf ein Programm aus Steuersenkungen und Deregulierung konzentrieren werde. An diese Vorstellung scheinen auch die Investoren zu glauben. Der derzeit im Kongress ausgearbeitete Haushaltsentwurf weckt in der Tat Hoffnungen auf einen fiskalischen Nettoanreiz von etwa einem Prozent des Bruttoinlandprodukt.

Die Handelsgespräche sind noch lange nicht abgeschlossen, wie die jüngsten Spannungen mit China und Europa zeigen. So wurde etwa eine mögliche Anhebung der Zölle auf 50 Prozent ab dem 1. Juni angekündigt, die später auf den 9. Juli verschoben wurde. Aktuell stehen Anleger vor wichtigen Fragen: Werden die laufenden Handelsgespräche scheitern oder sich weiter zuspitzen? Wird das in der zweiten Jahreshälfte drohende ‚Stagflationstal‘ in den USA infolge der Zölle problematischer als zunächst angenommen – insbesondere mit dem Risiko, dass sich die Inflationsprognosen entkoppeln? Könnte der US-Anleihemarkt rebellieren, wenn er zur Finanzierung eines weiter wachsenden Haushaltsdefizits herangezogen wird, zumal dieses bereits jetzt mit 7,2 Prozent im Jahr 2024 außergewöhnlich hoch ist?

Schließlich besteht Unklarheit darüber, ob internationale Investoren, die ohnehin schon stark im US-Dollar engagiert sind, bereit sein werden, ihr Engagement weiter zu erhöhen – vor allem wenn dies bedeutet, ein tiefes Leistungsbilanzdefizit (3,9 Prozent im Jahr 2024) zu finanzieren. All diese Fragen tragen zur aktuellen Unsicherheit bei.

Kapitalströme verlagern sich von den USA nach Europa und in Schwellenländer

In den vergangenen Wochen haben wir eine Zunahme der Kapitalzuflüsse in die Aktienmärkte Europas und der Schwellenländer beobachtet. Diese Märkte waren in globalen Portfolios lange Zeit vernachlässigt worden. Wir gehen davon aus, dass dieser Trend anhalten wird.

Auch wenn die Wachstumsaussichten für Europa weiterhin verhalten sind und durch die unsichere wirtschaftliche Lage sowie unklare US-Politikentscheidungen zusätzlich belastet werden, sollte die Fähigkeit Europas, neue Herausforderungen zu bewältigen, nicht unterschätzt werden. Derzeit richtet sich der Blick auf Deutschland. Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz sorgte innerhalb weniger Wochen mit dem Umfang des strukturellen Konjunkturprogramms sowie mit unkonventionellen Ankündigungen zur militärischen Unterstützung der Ukraine für Aufsehen.

Die politisch schwer durchsetzbaren Empfehlungen des Draghi-Berichts erfordern eine erneuerte europäische Führungsrolle, um die bestehenden Hürden zu überwinden. Die aktuellen Entwicklungen in Deutschland stehen offensichtlich im Einklang mit diesem Ziel und dürften dazu beitragen, den derzeitigen Skeptizismus abzubauen. Entscheidet sich Europa, die Draghi-Reformen entschlossen voranzutreiben, würden europäische Aktien von einer Neubewertung profitieren. Schon die Diskussion darüber könnte Investoren dazu bewegen, ihre Untergewichtung europäischer Aktien zu reduzieren und somit die Kapitalzuflüsse stärken.

Rückenwind für Schwellenländer

Schwellenländer profitieren derzeit zudem von mehreren günstigen Faktoren: der Aussicht auf ein Ende der protektionistischen Phase mit moderateren Zöllen, einer allgemein pessimistischen Einschätzung des US-Dollars und Anzeichen dafür, dass sich China – insbesondere der Immobiliensektor – allmählich aus der deflationären Krise befreit.

Die von der chinesischen Zentralbank vorgenommenen Zinssenkungen, insbesondere die Senkung der sogenannten Loan Prime Rate, sind ein positives Signal für die Stabilisierung der Immobilieninvestitionen. Wir gehen davon aus, dass China im Laufe des Jahres weitere fiskalische Stimulierungsmaßnahmen ankündigen wird, um das Binnenwachstum anzukurbeln und die Abhängigkeit vom Außenhandel zu verringern. Dies wird auch durch die jüngsten Regierungsäußerungen unterstrichen, denen zufolge die Maßnahmen zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes im Juni in Kraft treten sollen. Das ist ein entscheidender Faktor für die Schwellenländer.

Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Vermögensallokation unverändert beibehalten: Wir sind moderat untergewichtet in Aktien (insbesondere US-Aktien) und haben eine reduzierte Position im US-Dollar.

Benjamin Melman

Benjamin Melman ist Global CIO bei Edmond de Rothschild AM, ein Investmenthaus, das auf Private Banking und Asset Management spezialisiert ist. Zum internationalen Kundenkreis zählen Familien, Unternehmer und institutionelle Investoren. Die Edmond de Rothschild Gruppe ist auch in den Bereichen Corporate Finance, Private Equity, Immobilien und Fund Services tätig. Als familiengeführtes Unternehmen besitzt Edmond de Rothschild die notwendige Unabhängigkeit, um mutige Strategien und langfristige Anlagen vorschlagen zu können, die in der Realwirtschaft verankert sind. Die Gruppe wurde 1953 gegründet und verfügte per Ende Dezember 2023 über ein verwaltetes Vermögen von rund 163 Milliarden Schweizer
Franken, 2.600 Mitarbeiter und 28 Niederlassungen weltweit

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